Rolf Torring 086 - Pongos schwerster Kampf
hier zwischen den Stämmen gestanden haben."
„Es wird schon so sein, wie wir annehmen, Rolf," entgegnete ich, „das Tier wird längere Zeit in Gefangenschaft gewesen sein und die Wirkung eines Gewehres kennen."
„Weiter," sagte Rolf nur darauf.
Vorsichtig setzten wir uns wieder in Marsch. Der Tiger konnte sich hinter jedem Stamm, an dem wir vorbeikamen, verborgen halten. Vielleicht beobachtete uns das kluge Tier ganz genau und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, uns unvermutet überfallen zu können.
Aber wir kamen immer weiter vor, ohne daß sich etwas ereignete. Die Plantage wurde immer sauberer und wies deutliche Anzeichen auf, daß hier ständig Menschen arbeiteten. Wir konnten uns schon beglückwünschen, daß wir der schweren Gefahr entronnen waren.
„Mit dem Wagen wären wir wirklich bequemer in die Stadt gekommen," stellte Rolf lachend fest. „Ich glaube, der Colonel braucht uns jetzt kaum noch geheimnisvolle Zustände zu erklären und zu erzählen: wir haben sie schon selber erlebt. Da kommen Menschen! Vielleicht ist Lesley sogar dabei. Dann scheint der indische Fahrer schneller eine Möglichkeit gehabt zu haben, in die Stadt zu kommen, als ich gedacht hatte."
„Ich vermute sogar, Rolf, daß er auch gelaufen ist," meinte ich. „Allein wird es ihm neben dem Pfad, an dem er den geheimnisvollen ,Er' gesehen hatte, zu unheimlich geworden sein. Ja, da ist ein älterer Engländer dabei, der uns entgegenkommt."
Bald waren wir von den uns Entgegenkommenden nur noch auf Grußweite entfernt. Der voranschreitende Mann schwenkte fröhlich seinen Hut:
„Herr Torring, Herr Warren und Pongo! Habe Ich recht? Meine Herren, ich freue mich, Sie heil und gesund vor mir zu sehen. Ich habe keinen gelinden Schrecken bekommen, als vor einer knappen Stunde mein Fahrer mit Ihrem Gepäck auf einem Büffelkarren ankam und berichtete, daß Sie den gefährlichen Weg gegangen sind. Wie konnten Sie das nur wagen?! Der Fahrer hatte Sie gewarnt, wie er mir erklärte."
„Das hat er getan," gab Rolf lachend zu. „Aber ich war zu neugierig auf den ,Er', von dem er wiederholt sprach. Das unbekannte Wesen schien ihm gewaltige Angst einzuflößen, solche Angst, daß ich es unbedingt kennen lernen wollte."
„Sie scheinen ja auch beinahe seine nicht sehr angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben, Herr Torring," rief der Colonel. „Sie sehen toll aus! Herr Warren fast noch mehr. Kommen Sie mit, meine Herren, und berichten Sie, was Sie erlebt haben! Hunger werden Sie auch haben. Der Marsch war bes timm t vertrackt und schwierig."
„Gar so schlimm war es nicht," meinte Rolf. „Auch was wir erlebt haben, ging über normale Abenteuer nicht hinaus. Hören Sie, jetzt verabschiedet er sich von uns."
Hinter uns war das Brüllen des Tigers erklungen. Der Colonel lief bei dem Ton rot an und zischte wütend:
„Seit einem halben Jahr bin ich hinter dem Tier her und habe es noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Aber einen Menschen nach dem andern holt es sich. Haben Sie den Tiger unterwegs auch gehört?"
„Ich glaube sogar, daß er eine Kugel von mir bekommen hat," berichtete Rolf. „Aber ich scheine ihn nur leicht verwundet zu haben."
„Wa . . . was?! Sie haben auf ihn geschossen?" stotterte der Colonel. „Wie haben Sie das fertiggebracht? Er ist so schlau, daß er sich bisher noch vor keinem Weißen, der ein Gewehr trägt, sehen ließ."
„Dann scheint er sich bei uns geirrt zu haben, vielleicht weil Pongo voranschritt," meinte Rolf. „Er wollte uns den Ausgang des Pfades durch das niedrige Dickicht versperren, das zwischen den Plantagen liegt. Er brüllte zunächst. Wir standen still und beratschlagten. Da sah ich ihn auf den Pfad hinaustreten und gab ihm schnell eine Kugel. Er brüllte und fauchte, verschwand aber, ehe wir eine zweite Kugel hinterherfeuern konnten. Ich nehme mit Bestimmtheit an, daß ich ihn getroffen habe. Wir wunderten uns sehr, daß er uns nicht angenommen hat."
„Er ist zu klug, Herr Torring," sagte Colonel Lesley. „Er war längere Zeit in der Gefangenschaft eines indischen Fürsten, der in der Nähe der Stadt eine Besitzung hatte. Aber Ahuri verschwand plötzlich. Weshalb, weiß ich nicht. In der Stadt lief das Gerücht um, daß er es seiner Frau wegen tat, die auch plötzlich verschwunden sein soll. Andere sagen, er wäre noch hier und erscheine gelegentlich nachts am Teiche Kokarija.
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