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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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von Attac sieht etwa so aus: Es gibt heute zwei politische Kräfte auf der Welt. Einerseits die Neoliberalen, die fast alles dem Markt überlassen möchten, alles privatisieren, grenzenloser Kapitalismus, Abbau des Sozialstaates. Sie sitzen in allen Parteien, schreiben alle Leitartikel, haben die Hegemonie. Auf der anderen Seite: die Verteidiger des Staates, des Sozialen, der Solidarität. Attac.
    Entweder sind sie das letzte Aufgebot der Linken oder der Beginn ihres neuen Aufschwungs. Eines von beiden. Aber was?
    Auf dem »Platz der Weißen Rose«, wo die Attac-Leute nach harter Nacht in Jugendherberge oder Turnhalle frühstücken und sich zwischen den Seminaren erholen, sieht es auf den ersten Blick aus wie in den 70er Jahren. Nichts fehlt. Che-Guevara-Plakate, Einstein mit der rausgestreckten Zunge, der Infostand der Trotzkisten, der handgeschriebene »Helferplan«, die hennaroten Haare, die Schlangen bei der Essensausgabe. Irgendwer spielt irgendwo auf der Gitarre irgendwas von Bob Dylan. Es sind übrigens viele aus der DDR dabei. Siesind vielleicht 19 oder 21, aber bei der Vorstellung sagen sie: »Ich bin der Frank aus der DDR.« In der DDR hält man wenig vom Neoliberalismus.
    Einerseits ist Attac professioneller als fast alles, was die Linke in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Andererseits bleibt Attac ein politisches Phantom. Attac ist gegen Privatisierungen, gegen kapitalistische Globalisierung – aber es ist unmöglich, zu sagen, wofür Attac eigentlich steht, für welche Art von Alternative. Dazu ist das Bündnis viel zu breit. Auch ganze Organisationen können beitreten, 250 haben es schon getan, von Pax Christi und Terre des Hommes bis zum Institut für angewandte Psychoanalyse und dem »AK Frauen und Weltwirtschaft der Fachstelle für Frauenarbeit«. Das Motto der Sommerakademie könnte direkt von Dr. Motte und seiner Love-Parade stammen, so unverbindlich und leicht gaga klingt es. Letztes Jahr: »Aufstehen für eine andere Welt«. Diesmal: »Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.«
    Die erste Sommerakademie wurde, typisch Attac, von einem Soziologenteam auf Effizienz überprüft und bis ins Kleinste analysiert. Deshalb darf es als wissenschaftlich bewiesen gelten, dass »keine einzige Person die Atmosphäre beim Kongress als unangenehm empfand« und dass Infostände der Grünen, die fast alle Attackies aus enttäuschter Liebe zutiefst verachten, starke Unlustgefühle hervorrufen. Die Teilnehmer gehören drei Hauptgruppen an, erstens Studenten, zweitens Lehrer, drittens Wissenschaftler. Das Durchschnittsalter beträgt 33,17 Jahre.
    So lügen Statistiken. Auf dem Platz der Weißen Rose sieht man alle möglichen Menschentypen, aber so gut wie nie einen Dreiunddreißigjährigen. Die meisten Leute sind jung, ab 14bis etwa 25. Eine Minderheit ist 50, 60 und älter. Die Altersgruppe dazwischen fehlt fast völlig.
    Für die letzten kompromisslosen 68er, die nicht den Weg von Joschka Fischer oder Jürgen Trittin gegangen sind, ist Attac ein Glück, mit dem realistischerweise nicht mehr zu rechnen war und das sie wahrscheinlich kaum fassen können. Plötzlich gibt es wieder Publikum. Mein Gott – plötzlich ist wieder eine Massenbasis da! Eine volle Aula!
    Man sieht pittoreske Persönlichkeiten wie Werner Rätz, früher Kommunistischer Bund, der im Film als Karl-Marx-Darsteller auftreten könnte. Oder John Holloway, einen charismatischen Soziologieprofessor, der Rudi Carrell verblüffend ähnlich sieht und hinreißende Reden gegen den »bürgerlichen Begriff von Raum und Zeit« hält. Klassenkampf, Revolution, der Glaube an die Macht der Thesenpapiere, es ist alles wieder da. Viele Veteranen treten auf, als hätte man sie 1970 in eine Zeitmaschine gestopft und als seien sie gestern wieder herausgekrabbelt, etwas verstrubbelt, ein bisschen grauer und dicker zwar, aber unverdrossen. Es ist ihr letztes Gefecht, aber auch das letzte Gefecht kann man ja gewinnen.
    Allerdings hält sich die Begeisterung der Jugend in Grenzen. Beifall gibt es vor allem für feurige Bekenntnisse zur Revolution, alles Pathetische kommt als Stil gut an. Es wird aber auch kräftig gebuht, zum Beispiel, wenn jemand etwas gegen die repräsentative Demokratie sagt. Besonders weitschweifige Theoretiker werden durch Dauerbeifall zum Schweigen gebracht, auch wenn sie aus der Dritten Welt kommen. Eine Frage des Zeitmanagements.
    Am heißesten Tag findet bei Peter von Attac Mainz ein vollkommen überfülltes

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