Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Seminar statt, zum Thema »Lebensstil und Politik«. Peter trägt einen – natürlich inoffiziellen und unverbindlichen –Wertekanon für Attackies vor. Grundprinzip: »Vom viel haben zum gut leben.« Weitere Werte: Ehrfurcht vor dem Leben. Wahrhaftigkeit. Solidarität statt Konkurrenz. Die Werte stammen aus Speicherbeständen der Ökumene.
Von Zeit zu Zeit schwankt eine Person aus dem Raum, der Ohnmacht nahe, es sind bestimmt 50 Grad da drin. Peter schaut auf und sagt: »Ich bin nicht Jürgen Möllemann.« Münster war die Heimat von Jürgen W. Möllemann. »Wir haben bei Attac kein Projekt 18. Aber ich sage euch: In zehn Jahren haben wir zehn Prozent der Bevölkerung hinter uns. Dann können wir wirklich etwas bewegen.« Aber was?
Abschied von Rudi Carrell
Manche Leute, die ihn persönlich kennen, sagen: »Der Rudi Carrell ist ein Ekel.« Das klingt natürlich erst mal ein bisschen abschreckend. Er hat seit Jahren dieses unschöne Image, er soll eiskalt und beinhart sein, bei Bedarf auch mal beinkalt oder eishart.
Auch die Kritiker mögen ihn nicht sonderlich. Beliebte Formulierungen aus Kritiken von Rudi-Carrell-Shows: »Quote mit Zote« oder »Reservat für abgehalfterte 70er-Jahre-Witze«. Mit Ilja Richter hat Rudi Carrell in jenen 70er Jahren ein paar Kinofilme lang ein Komikerduo gebildet. Die Filme spielten meistens am Wörthersee und hart an der Schwachsinnsgrenze. Carrell, erzählt Ilja Richter, riss am Wörthersee fast jeden Abend eine andere Schönheit auf und schickte sie meistens zeitig auf sein Hotelzimmer. Sie sollte sich schon mal für den großen Rudi bereitmachen. Etwa eine halbe Stunde später nahm er im Hotelfoyer mit einigem Tamtam den Mantel oder die Jacke der betreffenden Dame vom Kleiderhaken, zwinkerte dem Rest der Crew zu, warf sich den Mantel über die Schulter wie ein erbeutetes Tierfell und schritt die Treppe hinauf. Ilja Richter raste innerlich vor Wut. Er war ständig in Begleitung seiner Mutter, bei ihm lief in dieser Zeit sexuell überhaupt nichts.
Jahre später rief Carrell Ilja an, er wollte ihn für einen Auftritt in einer seiner Shows. Ilja Richter sagte: »Du, ich kannnicht, mein Vater liegt im Sterben.« Rudi Carrell soll geantwortet haben: »Du Arschloch.« Und dann hängte er auf. Seitdem mag Ilja Richter Rudi Carrell noch weniger als damals am Wörthersee.
Aber die Zuschauer lieben ihn. Womöglich ist Rudi Carrell einfach nur ein Mann, der seinen Job besonders ernst nimmt. Und ein Mann, der besonders erfolgreich Frauen anbaggert. Das natürlich auch.
Es ist überraschend unkompliziert, mit Rudi Carrell verabredet zu sein. Er ist exakt zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort. Er ruft garantiert zurück, falls es bei ihm eine Verzögerung gibt. Er sagt am Telefon, mit seiner unverwechselbar verwuschelten Rudi-Carrell-Stimme: »Was möchten Sie wissen? Kein Problem. Wir können eine Stunde reden.« Das alles ist bei Prominenten nicht selbstverständlich.
Wir sitzen an der Hotelbar. Berlin, Grand Westin. In ein paar Stunden beginnt »Menschen 2002«, die Jahresbilanzshow mit Johannes B. Kerner. Rudi Carrell sagt, er sei ein bisschen nervös, erstens, weil er erst um 22 Uhr drankommt und bis dahin keinen Alkohol trinken darf, zweitens, weil er Kerners Fragen nicht kennt. Die Nervosität sieht man ihm natürlich nicht an. Es ist wichtig, gleich bei der ersten Antwort einen Lacher zu kriegen, sagt er, aber wie soll er das hinkriegen, ohne die Fragen? »Ich bin nicht aus dem Stegreif lustig.« Er ist kein Bauchtyp. Er ist ein Kopftyp.
Rudi Carrell, geboren unter dem Namen Rudolf Kesselaar, ist bei diesem Gespräch 68 Jahre alt, davon 51 Jahre im Showbusiness. Er wirkt trotz seiner Knitterfalten im Gesicht etwa zehn Jahre jünger. In der deutschen Fernsehunterhaltung steht Carrell für das, was nach der Generation von Peter Frankenfeld, Hans Rosenthal und Hans Joachim Kulenkampff kam.Ein Entertainer neuen Typs. Jetzt also hört er auf. An Silvester sitzt er, als Ehrengast, zum letzten Mal in einer Sonderausgabe seiner Show »Sieben Tage, sieben Köpfe«, in der Komiker eine kalauergesättigte Wochenbilanz ziehen. Carrell produziert »Sieben Tage, sieben Köpfe«, er ist und bleibt der Chef. Aber er will vom Bildschirm verschwinden. »Aufhören, bevor es peinlich wird«, nennt er das.
»Sieben Tage, sieben Köpfe« lebte zum Teil davon, dass die anderen Opawitze auf seine Kosten machten, wegen seines Hörgerätes zum Beispiel. Das gehe nur, solange er nicht
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