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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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bekommt einen falschen spanischen Pass und einen neuen Namen. Spanien ist in der EU, da gibt es bei einer Razzia keine Probleme wegen fehlender Arbeitserlaubnis.
    Jetzt lebt und arbeitet sie in einem Zimmer, in diesem Klub. Es sind etwa ein Dutzend Frauen aus fast ebenso vielen Ländern. Es ist schwierig, sich zu unterhalten. Alle sind misstrauisch, auch die Frauen untereinander. Manche kommen und gehen, mit Sporttasche, wie im Fitnessstudio. Die Freiwilligen. Anna darf nie allein vor die Tür. Wenn sie von einem Kunden gefragt wird, sagt sie, sie komme aus Valencia.
    »Die Prostitution ist das eine«, sagt sie heute. »Aber deine Identität zu verlieren ist genauso schlimm. Ich hatte keinen Namen mehr, keine Familie, keine Vergangenheit. Ich existierte nur noch zu einem einzigen Zweck.«
    Wenn ein Kunde im Klub sie möchte, muss sie sich an der Bar ihren Schlüssel holen, hinterher gibt sie ihn wieder ab. So behält der Klub die Übersicht über ihre Einnahmen. Alle paar Tage kommt die deutsche Frau, ihre Besitzerin, und holt sich ihren Anteil. Ein paar Euro darf Anna behalten.
    Das beliebteste Druckmittel in solchen Bordellen heißt: Türkenpuff. Türkenpuff ist die Strafe für Fehlverhalten. Er ist gefürchtet, weil er so billig ist, ein Puff für Arbeiter. Nicht alle Kunden sind Türken, aber viele. Es muss sehr schnell gehen. Das bedeutet: besonders viele Männer, extrem lange Arbeitszeit. 11 bis 23 Uhr ist das mindeste. Die übelsten Läden aber sind die mit Hauslieferung. Der Kunde lässt sich eine Frau in die Wohnung liefern und zahlt bei Abholung. Der Preis richtet sich nach dem Zustand der Frau. Je kaputter sie ist, desto teurer wird es.
    »Ich bin nicht geschlagen oder misshandelt worden. Der Klub war gepflegt. Auch die meisten Kunden. Mir ist nichts passiert. Außer dass ich vor kurzem die Assistentin der Geschäftsführung war und ein Kind hatte und Karriere machen wollte, und jetzt war ich eine Prostituierte ohne Namen geworden.Ich habe meinen Freund und meine Familie und mein Vertrauen verloren. Zum Tausch habe ich die Erinnerungen einer Prostituierten bekommen. Am meisten hatte ich Angst davor, mich an diesen Job zu gewöhnen. Ich habe jeden Tag gedacht: Das hier ist nicht mein Leben. Das bin nicht ich. Und ich habe pausenlos gedacht: Ich bin stark. Das ist mein wahrer Charakter. Stark.«
    Anna ist in der Art Edelbordell gelandet, von dem in der Ukraine manche Frauen träumen. Sie hat keine Ahnung, wo genau in Deutschland sie ist. Den Namen der Stadt findet sie nach einer Weile heraus. Er sagt ihr nichts. Sie hat auch keine Ahnung, wer ihre Kunden sind. Vielleicht Prominente?
    Nach ein paar Monaten darf sie allein in die Stadt. Sie ruft zu Hause an. Sagt: »Mir geht’s gut. Muss schnell wieder auflegen, das Geld reicht nicht.«
    Was soll sie ihren Eltern auf Fragen antworten? Sie steht vorm Polizeipräsidium. Was soll sie der Polizei erzählen?
    In der Ukraine arbeiten Polizei und Zuhälter oft zusammen. Ein hoher Polizeioffizier verdient nur 300 Euro im Monat. Sie sind fast immer bestechlich. In Deutschland stellen die Klubbesitzer den Frauen gern Polizisten vor, mit denen sie zusammenarbeiten – manche Polizisten sind echt, andere nicht. Sie sagen: »Wenn ihr den Mund aufmacht, werdet ihr eingesperrt und abgeschoben.«
    Die Objekte des Menschenhandels haben keine Vertrauensperson. Stattdessen beherrscht sie ein Gefühl der Lähmung. Anna erzählt ihre Geschichte einem Mann, der häufig zu ihr kommt. Der Stammkunde sagt: »Ich schicke gleich morgen die Polizei.« Er kommt nicht wieder in den Klub, die Polizei ruft er auch nicht an.
    Nach einem halben Jahr: die Razzia. Polizei kommt maskiertund bewaffnet in den Klub. Irgendwer hat ihnen jetzt doch einen Tipp gegeben. Manche Freier tun das tatsächlich. Annas Pass wird kontrolliert. Sie bekommt ihn zurück. Kein Problem, eine Legale. Sie wagt nicht, etwas zu sagen, all die Leute vom Klub stehen neben ihr. Da fängt sie an, Spanisch zu sprechen, aber völlig falsch, wirr und mit übertriebenem Akzent. Einer der Polizisten kann ebenfalls Spanisch. Er sagt: »Die da nehmen wir mal mit.« Sie kommt für den Rest der Nacht in eine Einzelzelle.
    Am nächsten Morgen erzählt sie der Polizei ihre Geschichte. Danach sagt sie: »Ich will nach Hause.« Der Polizist, der sie verhört, gibt ihr einen Rat. »Wir können dich abschieben, und du bist wieder in der Ukraine. Aber dann wird es noch schlimmer. Es wird immer noch schlimmer. Sie kriegen dich und

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