Ronja Räubertochter
dich, sonst zerreißen wir dich!«
Sie begann mit ihren harten Klauen und Krallen an Ronja zu rucken und zu reißen. Als Ronja dennoch festsaß, raste sie vor Wut.
»Du willst wohl, daß ich dich zerkratze und zerfetze?«
sie beugte sich über Ronja, und ihre schwarzen Steinaugen glitzerten vor Bosheit. Wieder versuchte sie Ronja loszureißen, aber wie sehr sie auch zerrte und zog, es gelang ihr nicht. Schließlich ließ sie von ihr ab. Dann sag ich's den Schwestern mein«, kreischte sie.
»Und morgen holen wir dich. Dann liegst du nie mehr da und faulenzt. Nie mehr, nie mehr!«
Und sie flog über die Baumwipfel davon und verschwand oben in den Bergen. Morgen, wenn die wilden Druden kommen, dann liegt hier nur noch ein Eisklumpen, dachte Ronja. Unten bei den Rumpelwichten war es still geworden. Der ganze Wald war totenstill und wartete nur auf die Nacht die jetzt kam. Auch Ronja erwartete nichts anderes mehr. Reglos lag sie da und kämpfte nicht länger. Dann soll sie doch kommen, dachte sie, die letzte, kalte schwarze einsame Nacht, die ihr das Ende bringen würde. Es hatte angefangen zu schneien. Große Flocken fielen auf ihr Gesicht. Dort schmolzen sie und vermischten sich mit ihren Tränen. Denn jetzt weinte sie. Sie dachte an Mattis und Lovis. Nie würde sie sie wiedersehen, und niemand auf der Mattisburg würde je wieder froh sein. Armer Mattis, er würde den Verstand verlieren vor Kummer! Und dann gab es keine Ronja mehr, die ihn tröstete, wie sie es sonst immer tat wenn er traurig war. Nein, dann gab es keinen Trost mehr zu spenden und keinen zu empfangen, gar keinen! Da hörte sie, wie jemand ihren Namen rief, klar und deutlich hörte sie es, wußte aber, daß es nur ein Traum sein konnte. Und sie weinte noch mehr. Nur im Traum würde man sie je wieder beim Namen nennen. Und bald würde sie nicht einmal mehr träumen. Aber da hörte sie die Stimme aufs neue!
»Ronja, willst du denn nicht nach Hause?«
Mühsam öffnete sie die Augen. Und vor ihr stand Birk, ja, vor ihr stand Birk auf seinen Skiern! j
»Ich hab da unten deinen Ski gefunden, und das ist ein Glück, denn sonst müßtest du hier liegenbleiben.«
Er steckte ihren Ski neben sie in den Schnee.
»Du brauchst wohl Hilfe?«
Da begann sie so laut und haltlos zu weinen, daß sie sich schämte. Sie konnte ihm vor lauter Schluchzen nicht antworten, und als er sich niederbeugte, um sie hochzuheben, schlang sie die Arme um seinen Hals und murmelte voll Verzweiflung:
»Laß mich nicht allein! Laß mich nie mehr allein!«
Darüber lächelte er.
»Nein, du mußt nur eine Riemenlänge Abstand halten! Laß mich los und heul nicht, damit ich sehe, wie ich dich freikriege!«
Er schlüpfte aus seinen Skiern, legte sich bäuchlings neben das Loch und steckte die Hand hinein, so weit er konnte. Und nachdem er da unten lange herumhantiert hatte, geschah das unglaubliche Wunder. Ronja konnte das Bein herausziehen,sie war frei! Aber die Rumpelwichte wurden böse, und der Rumpelbalg schrie.
»Weckt Rumpeljunge, kriegt Sand in die Augen, wiesu tut sie su?«
Ronja weinte noch immer, sie konnte nicht aufhören. Birk gab ihr den Ski.
»Heul nicht mehr«, sagte er, »sonst schaffst du es nie bis nach Haus!«
Da holte Ronja tief Luft. Ja, jetzt mußte Schluß sein mit dem Geheule. Sie stand auf ihren Skiern und probierte, ob die Beine sie noch trugen.
»Ich werd's versuchen«, sagte sie.
»Und du kommst mit?«
»Ich komme mit«, sagte Birk. Ronja nahm einen Anlauf und glitt den Hang hinab, und Birk folgte ihr. Die ganze Zeit, während sie mühselig im Schneetreiben heimwärts lief, war er dicht hinter ihr. Wieder und wieder mußte sie sich umsehen, ob er auch noch da war. Sie fürchtete so sehr, er könne plötzlich verschwinden und sie allein lassen. Doch er folgte ihr mit einer Riemenlänge Abstand, bis sie sich der Wolfsklamm näherten. Dort mußten sie sich trennen, denn Birk mußte sich auf heimlichen Wegen zur Borkafeste zurückschleichen. Eine Weile standen sie sich im rieselnden Schnee stumm gegenüber. Es fiel Ronja schwer, Lebewohl zu sagen. Sie wollte ihn um jeden Preis zurückhalten.
»Du, Birk«, sagte sie, »ich wünschte, du wärst mein Bruder.«
Birk lächelte.
»Das kann ich ja sein, wenn du es möchtest Räubertochter.«
»Ja, das möchte ich«, sagte sie, »Aber nur, wenn du mich Ronja nennst!«
»Ronja, meine Schwester«, sagte Birk und verschwand im Schneegestöber.
»Du warst heute aber lange im Wald«, sagte Mattis, als
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