Ronja Räubertochter
nicht.
Unablässig sank Ronja ein, und schließlich war sie so erschöpft, daß sie aufgeben mußte, jetzt wollte sie nur nach Hause. Sie war auf eine Anhöhe gestiegen und wollte auf der andern Seite hinunterfahren. Dort fiel der Hang steil und jäh ab. Aber sie hatte ja ihren Skistock, um damit zu bremsen, und furchtlos schoß sie hinab, daß der Schnee nur so stob. Dann kam eine Senke, und sie flog darüber hinweg. Doch mitten im Flug verlor sie den einen Ski, und als sie wieder aufsetzte, brach ihr Fuß durch die Schneedecke in ein tiefes Loch ein. Sie sah ihren Ski den Steilhang hinabwirbeln und verschwinden, und sie selber steckte bis zum Knie fest in dem Loch. Zuerst lachte sie darüber. Doch das Lachen verging ihr bald, als sie merkte, wie übel sie dran war. Sie kam nicht frei. Wie sehr sie auch zog und zerrte, es half nichts. Tief unten aus dem Loch hörte sie ein Gemurmel, und anfangs begriff sie nicht, woher es kam. Dann sah sie plötzlich eine Schar Rumpelwichte, die ein Stück von ihr entfernt aus dem Schnee hervorgekrabbelt kamen. Man erkannte sie leicht an ihren breiten Hinterteilen, ihren kleinen, verhutzelten Gesichtern und ihrem struppigen Haar, Gemeinhin waren die Rumpelwichte friedlich und taten nichts Böses. Aber diese Wichte, die jetzt dort standen und sie mit törichten Augen anstarrten, waren mißvergnügt, das sah man.
Sie murrten und seufzten, und einer von ihnen sagte düster:
»Wiesu tut sie su?«
Und sofort stimmten die ändern ein:
»Wiesu tut sie su? Macht putt unser Dach, wiesu denn bluß?«
Ronja wurde klar, daß sie mit dem Fuß in ihren Erdbau geraten war. Rumpelwichte bauten sich ja solche Erdhöhlen, wenn sie keinen passenden hohlen Baum zum Wohnen fanden.
»Ich kann nichts dafür«, rief sie, »Helft mir raus!«
Aber die Rumpelwichte starrten sie nur an und seufzten ebenso griesgrämig wie vorher,
»Tut ihren Fuß in unser Dach, wiesu denn bluß?«
Ronja wurde ungeduldig, »Helft mir doch, daß ich hier rauskomme!«
Aber die Wichte schienen sie nicht zu hören oder zu verstehen. Sie glotzten sie nur einfältig an und huschten dann hastig in ihr Erdloch zurück. Ronja hörte ihr mürrisches Gemurmel dort unten. Plötzlich aber begannen sie zu rufen und zu johlen, als freuten sie sich über etwas.
»Duckt, das deht!« schrien sie.
»Die Wiege, duckt duch! Das deht!«
Und Ronja spürte, wie etwas an ihren Fuß gehängt wurde, etwas Schweres.
»Kleiner Rumpeljunge hängt durt gut«, schrien die Rumpelwichte.
»Die Wiege, duckt duch! Wu der ulle Fuß ja suwiesu im Dach steckt.«
Aber Ronja hatte keine Lust in Schnee und Kälte zu liegen und den dummen Rumpelwichten die Wiege zu halten. Wieder versuchte sie freizukommen und zog und zerrte aus Leibeskräften. Da jubelten die Rumpelwichte.
»Kleiner Rumpeljunge, Schaukel, Schaukel. Duckt nur!«
Im Mattiswald durfte man sich nicht fürchten, das hatte Ronja von klein auf zu hören bekommen, und sie hatte sich auch bemüht, sich alle Furcht abzugewöhnen. Aber manchmal wollte es nicht gelingen. Gerade jetzt gelang es ganz und gar nicht. Oh, wenn sie hier nun nicht freikommen konnte, wenn sie hier liegenblieb und nachts erfror! Sie sah die dunklen Schneewolken über dem Wald, mehr Schnee würde fallen, viel Schnee! Vielleicht würde sie darunter begraben werden! Tot und erfroren würde sie hier liegen und an ihrem baumeln-len Fuß ein kleines Rumpelkind wiegen, bis der Frühling kam. Erst dann würde wohl Mattis seine arme Tochter finden, die sich im Winterwald zu Tode gefroren hatte. Nein, nein!«
schrie sie.
»Hilfe! Kommt, helft mir doch!«
Aber wer in diesem leeren Wald würde sie hören? Kein einziger das wußte sie. Und doch schrie sie, bis sie nicht länger konnte. Da hörte sie die Rumpelwichte unten klagen:
»Wiegenlied schun Schluß! Wiesu denn bluß?«
Und dann hörte Ronja nichts mehr. Denn jetzt sah sie die Wilddrude. Wie ein großer, schöner schwarzer Raubvogel kam sie unter den dunklen Wolken über den Wald geschwebt, dann senkte sie sich und kam näher. Geradewegs auf Ronja zu flog sie, und Ronja schloß die Augen. Jetzt gab es keine Rettung mehr, das war ihr klar. Kreischend und hohnlachend landete die Drude neben ihr.
»Du schönes Menschlein«, schrie sie gellend und zerrte Ronja am Haar.
»Liegst hier und faulenzt, jaja, hoho!«
Wieder lachte sie, und es war ein gräßliches Lachen.
»Arbeiten sollst du, jawohl! In den Bergen bei uns, bis das Blut fließt! Sonst zerfleischen wir
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