Ronja Räubertochter
Stillsitzen ganz und gar nicht. Sie wurden unstet und ruhelos und lagen sich häufiger als sonst in den Haaren, bis Lovis schließlich ein Machtwort sprach: Hier dröhnen einem ja die Ohren von all eurem Gezanke und Krakeelen. So fahrt und saust und schert euch doch allesamt zum Donnerdrummel, wenn ihr euch nicht vertragen könnt ! Da schwiegen sie, und Lovis teilte sie zu nützlicher Arbeit ein. Sie mußten den Hühnerstall ausmisten und fegen und auch den Schafstall und den Ziegenstall, und das war ihnen höchst zuwider. Doch keiner blieb verschont außer Glatzen-Per und den Männern, die gerade unten an der Wolfsklamm oder oben am Höllenschlund Wache hielten. Auch Mattis tat sein Bestes, die Räuber in Trab zu halten. Er ging mit: ihnen auf Elchjagd. Mit Speeren und Armbrüsten zogen sie in den Herbstwald. Als sie dann vier große Elchbullen anschleppten, die sie erlegt hatten, schmunzelte Glatzen-Per.
»Immer nur Hühnersuppe und Hammelklein und Grütze, das taugt nicht auf die Dauer«, sagte er.
»Jetzt kriegt man mal was zu beißen, und die mürbesten Stücke sind für den Zahnlosen, das begreift ja wohl jeder. «
Und Lovis briet Elchfleisch und räucherte Elchfleisch und pökelte Elchfleisch, damit es, hin und wieder gestreckt durch Brathühner und Lammschlegel, den ganzen Winter über reichte. Ronja streunte im Wald herum, wie sie es immer tat. Dort war es jetzt so still geworden, aber auch im Herbstwald fühlte sie sich wohl. Das Moos auf dern Boden war feucht und grün und weich unter ihren bloßen Füßen. Es roch so gut nach Herbst, und die Aste glänzten vor Nässe. Oft regnete es. Aber sie saß gern zusammengekauert unter einer dichten Fichte und hörte dem leisen Tröpfeln zu. Manchmal schüttete es vom Himmel herab, daß der ganze Wald von Regen rauscht und auch das gefiel ihr. Tiere ließen sich kaum noch blicken. Ihre Füchse hatten sich im Bau verkrochen. Nur hin und wieder sah sie in der Dämmerung Elche vorüberstelzen und ab und zu Wildpferde zwischen den Bäumen grasen. Sie wollte sich so gern ein Wildpferd fangen und hatte es schon oft versucht aber nie war es ihr gelungen. Sie waren zu scheu und bestimmt auch schwer zu zähmen. Dabei war es doch wirklich an der Zeit daß sie ein Pferd bekam. Das hatte sie auch zu Mattis gesagt. »Erst wenn du stark genug bist dir selber eins zu fangen«, hatte er geantwortet. Und eines Tages tu ich das auch, dachte sie. Ich werde mir ein hübsches Fohlen fangen und es auf die Mattisburg mitnehmen und zähmen, genau wie es Mattis mit all seinen Pferden getan hat. Sonst war der Herbstwald seltsam leer. Verschwunden waren alle Wesen, die hier sonst herumgeisterten. Sie alle hatten sich wohl in ihre Höhlen und Schlupfwinkel verkrochen. Nur selten noch kamen die Wilddruden von ihren Bergen herabgeschwebt aber auch sie waren ruhiger geworden und hockten wohl am liebsten oben in ihren Felsgrotten. Auch die Graugnomen hielten sich verborgen. Nur einmal sah Ronja, wie ein paar von ihnen hinter einem Stein hervorspähten. Aber vor Graugnomen fürchtete sie sich nicht mehr.
»Schert euch zum Donnerdrummell«
schrie sie, und da verschwanden sie mit heiserem Gefauche. Birk ließ sich in ihrem Wald niemals mehr blicken. Und darüber war sie ja nur froh. Oder nicht? Manchmal wußte sie nicht recht wie es damit stand. Dann kam der Winter. Der Schnee fiel, die Kälte nahm zu, und der Rauhreif verwandelte Ronjas Wald in einen Eiswald, den schönsten, den man sich denken konnte. Jetzt lief sie dort Ski, und wenn sie bei anbrechender Dunkelheit heimkehrte, hatte sie Rauhreif im Haar und abgestorbene Finger und Zehen trotz ihrer Fellfäustlinge und Pelzstiefel. Doch keine Kälte und kein Schnee konnten sie von ihrem Wald fernhalten. Am nächsten Tag war sie wieder dort. Mattis sorgte sich manchmal, wenn er sie den Hang hinab zur Wolfsklamm davonstieben sah, und wie so oft sagte er zu Lovis:
»Wenn das nur gutgeht! Wenn ihr nur nichts Böses zustößt! Denn dann kann ich nicht mehr weiterleben.«
»Was jammerst du?« sagte Lovis.
»Dieses Kind kann besser auf sich achtgeben als jeder Räuber, wie oft soll ich dir das noch sagen!«
Und ganz gewiß konnte Ronja auf sich achtgeben. Doch eines Tages geschah etwas, das Mattis besser nicht zu Ohren kam. Über Nacht war noch mehr Schnee gefallen und hatte Ronjas Skispuren verwischt. Nun mußte sie neue machen, und das war harte Arbeit. Die Kälte hatte schon eine dünne Harschdecke über den Schnee gelegt, aber noch trug sie
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