Ronja Räubertochter
1
I N DER NACHT , ALS RONJA GEBOREN WURDE , ROLLTE DER DONNER über di e Berge, ja, es war eine Gewitternacht daß sich selbst alle Unholde, die im Mattiswald hausten, erschrocken in ihre Höhlen und Schlupfwinkel verkrochen. Nur die wilden Druden liebten Gewitter mehr als jedes andere Wetter und flogen mit Geheul und Gekreisch um die Räuberburg auf dem Mattisberg. Das störte Lovis, die dort lag, um ein Kind zu gebären, und sie sagte zu Mattis:
»Scheuch diese Grausedruden weg, damit es hier still ist, sonst höre ich nicht, was ich singe!« Es war nämlich so, daß Lovis sang, als sie ihr Kind gebar. Es gehe dann leichter, behauptete sie, und wahrscheinlich werde das Kind auch von heiterer Natur, wenn es bei Gesang zur Welt kam. Mattis griff nach seiner Armbrust und schoß ein paar Pfeile durch die Schießscharte.
»Trollt euch, ihr Wilddruden!« brüllte er.
»Ich krieg heut nacht doch ein Kind, begreift ihr das nicht, ihr Scheusale?«
»Hoho, er kriegt heut nacht ein Kind!« heulten die Wilddruden.
»Wohl ein Gewitterkind, klein und häßlich fürwahr, hoho!« Da schoß Mattis noch einmal mitten in die Schar, aber sie hohnlachten nur über ihn und flogen mit wütendem Gekreisch über die Baumwipfel davon. Während Lovis dort lag und sang und ihr Kind gebar und Mattis die Wilddruden bändigte, so gut er es vermochte, saßen unten in der großen Steinhalle seine Räuber am Feuer und schmausten und zechten und lärmten nicht weniger laut als die Druden. Irgendwas mußten sie ja tun, während sie warteten, und alle zwölf warteten nur darauf, was da oben im Turmzimmer geschehen würde. Denn in ihrem ganzen Räuberleben war auf der Mattisburg noch nie ein Kind geboren worden. Am allermeisten wartete Glatzen-Per.
»Kommt denn dieses Räuberbalg nicht bald?« sagte er.
»Ich bin alt und klapprig und bald fertig mit meinem Räuberleben. Es war schon gut, einen neuen Räuberhauptmann zu sehen, bevor es mit mir zu Ende geht.« Kaum hatte er das gesagt, da öffnete sich die Tür, und hereingestürzt kam Mattis ganz von Sinnen vor Freude. Mit hohen Jubelsprüngen lief er durch die große Halle und schrie dabei wie närrisch:
»Ich hab ein Kind gekriegt! Hört ihr, was ich sage? Ich hab ein Kind gekriegt!«
»Was ist's denn geworden?« fragte Glatzen-Per hinten aus seiner Ecke.
»Eine Räubertochter, juchhe und juchhei! Eine Räubertochter. Hier kommt sie!« Und über die hohe Schwelle schritt Lovis mit ihrem Kind im Arm. Da wurde es mucksstill unter den Räubern.
»Na, jetzt ist euch wohl das Bier in die falsche Kehle gerutscht was?!« sagte Mattis. Er nahm Lovis das kleine Mädchen ab und zeigte es den Räubern, einem nach dem andern.
»Da! Falls ihr das schönste Kind sehen wollt, das je in einer Räuberburg geboren wurde!« Die Tochter lag in seinem Arm und guckte ihn mit wachen Augen an.
»Der Fratz weiß und versteht schon so allerlei, das sieht man«, sagte Mattis.
»Wie soll sie denn heißen?« fragte Glatzen-Per.
»Ronja«, antwortete Lovis.
»So, wie ich es schon seit langem beschlossen habe.«
»Aber wenn's nun ein Junge geworden war?« meinte Glatzen-Per. Lovis sah ihn ruhig und streng an.
»Wenn ich beschlossen habe, daß mein Kind Ronja heißt, dann wird es auch eine Ronja.«
Sie wandte sich an Mattis.
»Soll ich sie dir jetzt abnehmen?« Aber Mattis wollte sich noch nicht von seiner Tochter trennen. Er stand da und sah mit Staunen ihre klaren Augen, ihren winzigen Mund, ihren dunklen Haarschopf und ihre hilflosen Hände, und er erschauerte vor Liebe.
»Du Kind, in diesen kleinen Händen hältst du schon jetzt mein Räuberherz«, sagte er.
»Ich begreife es nicht, aber es ist so.«
»Darf ich sie auch mal ein bißchen halten?« bat Glatzen-Per. Und Mattis legte ihm Ronja in die Arme, als wäre sie ein goldenes Ei.
»Hier hast du den neuen Räuberhauptmann, von dem du so lange gefaselt hast. Laß sie aber nicht fallen, denn dann hat deine letzte Stunde geschlagen.« Aber Glatzen-Per lächelte Ronja mit seinem zahnlosen Mund nur an.
»Irgendwie hat sie noch gar kein rechtes Gewicht«, meinte er verwundert und wog sie ein paarmal in seinen Armen. Doch da wurde Mattis zornig und riß das Kind wieder an sich.
»Was hast du denn erwartet, du Schafskopf? Etwa einen großen, fetten Räuberhauptmann mit Schmerbauch und Spitzbart, he?«
Damit war allen Räubern klar, daß man an diesem Kind nicht herummäkeln durfte, wollte man Mattis bei guter Laune halten. Und es war wirklich nicht
Weitere Kostenlose Bücher