Ronja Räubertochter
Zorn und Triumph:
»Ein Kindsräuber wie Mattis - man versteht ja, daß er die Schande fühlt und sich nicht blicken läßt.«
Lovis war sich zu gut für eine Antwort. Sie zog Ronja an sich und wollte wortlos mit ihr fort. Viel hatte sie darüber gegrübelt, warum ihre Tochter sich freiwillig in Borkas Hände begeben hatte, aber jetzt, bei dieser Begegnung, ahnte sie, warum. Die beiden Ronja und Birk, sahen einander an, als wären sie allein hier an der Wolfsklamm und auf der Welt. Ja, diese beiden hielten zusammen, das konnte jeder sehen. Auch Undis sah es sofort, und was sie da sah, gefiel ihr gar nicht. Heftig rüttelte sie Birk,
»Was hast du mit der da zu schaffen?«
Sie ist meine Schwester«, antwortete Birk.
»Und sie hat mir das Leben gerettet.«
Ronja schmiegte sich an Lovis und weinte.
»Genau wie Birk es mir gerettet hat«, murmelte sie. Borka aber war rot geworden vor Wut.
»Hintergeht mich mein Sohn und gibt sich mit der Brut meines Todfeindes ab?«
»Sie ist meine Schwester«, wiederholte Birk nur und sah Ronja an.
»Schwester!«
kreischte Undis.
»Ha, was daraus in ein paar Jahren wird, das weiß man ja!«
Sie packte Birk und wollte ihn fortziehen.
»Faß mich nicht an«, sagte Birk.
»Ich geh allein, und ich dulde nicht, daß du mich anrührst.«
Er wandte sich um und ging. Von Ronja kam ein Jammerruf:
»Birk!«
Aber er ging - und war fort. Als Lovis mit Ronja allein war, fragte sie nach diesem und jenem, aber das war verlorene Mühe.
»Sprich nicht mit mir«, bat Ronja. Da ließ Lovis sie in Ruhe, und schweigend wanderten beide nach Hause. Glatzen-Per empfing Ronja in der Steinhalle, als sei sie einer Todesgefahr entronnen.
»Wie gut, daß du lebst!«
rief er.
»Du armes Kind, wie hab ich mich um dich gesorgt!«
Ronja ging stumm zu ihrem Bett, legte sich hin und zog die Vorhänge zu.
»In der Mattisburg gibt's nichts als Elend«, sagte Glatzen-Per und schüttelte düster den Kopf. Dann flüsterte er Lovis zu:
»Ich hab Mattis in meiner Schlafkammer. Aber er liegt nur da und starrt vor sich hin und sagt keinen Piep. Aufstehen will er nicht, und essen will er nicht. Was machen wir bloß mit ihm?«
»Er wird schon kommen, wenn der Hunger groß genug ist«, meinte Lovis. Aber auch sie war bekümmert. Und am vierten Tag ging sie in Glatzen-Pers Kammer und sprach ein Machtwort.
»Komm jetzt essen, Mattis! Sei endlich friedlich! Alle sitzen schon um den Tisch und warten auf dich.«
Schließlich kam Mattis, finster und abgemagert und kaum wiederzuerkennen. Stumm setzte er sich an den Tisch und aß. Auch alle seine Räuber schwiegen. So still war es in der Steinhalle nie zuvor gewesen. Ronja saß an ihrem gewohnten Platz, aber Mattis sah sie nicht. Auch sie hütete sich, ihn anzusehen. Nur ganz verstohlen schielte sie einmal in seine Richtung, und da sah sie einen Mattis, der dem Vater, den sie bisher gekannt hatte, nicht mehr glich. Ja, alles war verändert und schrecklich geworden! Am liebsten wäre sie davongestürzt, weg von dort, wo Mattis war, wäre allem entflohen, um allein zu sein. Sie blieb aber entschlußlos sitzen und wußte nicht ein noch aus in ihrem Kummer.
»Seid ihr jetzt satt ihr Spaßvögel?«
fragte Lovis grimmig, die Mahlzeit beendet war. Soviel Schweigen ertrug auch sie nicht. Mit einem Gemurmel standen die Räuber auf und verdrückten sich rasch zu ihren Pferden, die nun schon den vierten Tag unbeschäftigt im Stall standen. Wenn ihr Häuptling nur in Glatzen-Pers Kammer lag und dort die Wände anglotzte, konnten sie ja nicht auf Raubzüge ausreiten. Es war gar zu traurig, fanden sie, weil gerade zu dieser Jahreszeit mehr Reisende als sonst durch die Wälder fuhren. Mattis verließ die Steinhalle, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben, und wurde an diesem Tag auch nicht mehr gesehen. Und Ronja stürzte davon, hinaus in den Wald. Drei Tage lang hatte sie dort schon nach Birk gesucht, aber er war nicht gekommen. Sie begriff nicht weshalb. Was machten sie in der Borkafeste mit ihm? Hatten sie ihn eingesperrt, damit er nicht im Wald mit ihr zusammentraf? Es fiel ihr schwer, nur zu warten und nichts zu wissen. Lange saß sie am Weiher, und ringsum war auch jetzt die Herrlichkeit des Frühlings. Aber ohne Birk hatte sie keine Freude daran. Sie dachte zurück an früher, als sie noch allein gewesen war und der Wald ihr genügt hatte. Wie lange das her war! Jetzt brauchte sie Birk, um sich freuen zu können. Aber auch heute schien er nicht zu kommen, und
Weitere Kostenlose Bücher