Ronja Räubertochter
als ihr das Warten gar zu lang wurde, stand sie auf und wollte gehen. Da kam er. Sie hörte ihn im Fichtendickicht pfeifen, und außer sich vor Freude stürzte sie ihm entgegen. Da war er.Und ein großes Bündel schleppte er.
»Ich ziehe jetzt in den Wald«, sagte er.
»Ich kann nicht länger in der Borkafeste bleiben.«
Ronja starrte ihn erstaunt an.
»Warum denn nicht?«
»Ich bin nun mal so, daß ich ständiges Genörgel und harte Worte nicht ertragen kann«, sagte er.
»Drei Tage, das reicht mir!«
Mattis' Schweigen ist schlimmer als harte Worte, dachte Ronja. Und plötzlich wußte sie, was sie zu tun hatte - was unerträglich war, ließ sich ja ändern! Birk hatte es getan. Weshalb sollte sie es nicht auch tun können?
»Ich will auch fort aus der Mattisburg«, stieß sie hervor.
»Ich will es! Ja, ich will es!«
»Ich bin in einer Höhle geboren«, sagte Birk,
»und in einer Höhle kann ich auch leben. Aber kannst du es?«
»Mit dir kann ich überall leben«, antwortete Ronja.
»Allemal in der Bärenhöhle!«
In den Bergen ringsum gab es ziemlich viele Höhlen, aber keine war so einzigartig wie die Bärenhöhle. Ronja kannte sie schon lange, schon seit sie anfing, im Wald herumzustreunen. Mattis hatte sie ihr gezeigt. Er selber hatte dort bisweilen gehaust, früher, als er noch ein Junge gewesen war. Im Sommer.
Denn im Winter schliefen dort die Bären, hatte Glatzen-Per ihm damals erzählt. Deshalb hatte er sie die Bärenhöhle genannt. Und so hieß sie seitdem, auch wenn da jetzt keine Bären mehr hausten. Sie lag hoch über dem Fluß in einer Felswand. Um dort hinzugelangen, mußte man sich auf einem schmalen Pfad am Felsen entlangtasten, wo es recht gefährlich war. Doch genau vor der Höhle weitete sich der Pfad zu einem breiten Felsvorsprung. Und dort, hoch über dem rauschenden Fluß, konnte man sitzen und den Morgen in all seinem Glanz über die Berge und Wälder heraufziehen sehen. Ronja hatte es oft getan Ja, in dieser Grotte konnte man leben, das wußte sie.
»Ich komme noch heute zur Bärenhöhle, spät abends«, sagte sie,
»Bist du dann schon da?«
»Ja, wo sonst«, antwortete Birk.
»Ich werde da sein und auf dich warten.«
An diesem Abend sang Lovis für Ronja das Wolfslied, wie sie es stets zur Nacht tat, gleichgültig, ob der Tag voll Freude oder voll Kummer gewesen war. Aber an diesem Abend höre ich es zum letztenmal, dachte Ronja, und daran zu denken war schwer. Ja, schwer war es, die Mutter zu verlassen, aber noch schwerer war es, nicht mehr Mattis' Kind zu sein. Darum mußte sie fort, auch wenn sie das Wolfslied nie wieder hören sollte. Und gleich mußte es geschehen. Sobald Lovis eingeschlafen war. Ronja lag wartend in ihrem Bett und starrte ins Feuer. Lovis warf sich drüben in ihrem Bett unruhig hin und her. Endlich lag sie still, und Ronja hörte an ihren Atemzügen, daß sie schlief. Da schlich Ronja leise zu ihr, und im Schein des Feuers stand sie lange da und betrachtete ihre schlafende Mutter. Du liebe Lovis, dachte sie, vielleicht sehen wir uns wieder, vielleicht auch nicht. Lovis' gelöstes Haar lag auf dem Kissen. Ronja strich mit den Fingern über die rotbraune Fülle. War dies wirklich ihre Mutter, die im Schlaf so kindlich aussah? Erschöpft dazu und so einsam ohne einen Mattis neben sich im Bett. Und jetzt würde auch ihr Kind sie verlassen.
»Verzeih mir«, murmelte Ronja.
»Aber ich muß es tun!«
Leise schlich sie sich aus der Steinhalle und holte ihr Bündel das sie in der Kleiderkammer versteckt hatte. Es war so schwer, daß sie es kaum tragen konnte. Bei der Wolfsklamm angekommen, warf sie es deshalb hinunter, Tjegge und Tjorm genau vor die Füße. Die beiden hielten in dieser Nacht Wache. Nicht daß Mattis sich noch darum gekümmert hätte, Wachen aufzustellen, aber Glatzen-Per tat es an seiner Stelle mit großem Eifer. Tjegge starrte Ronja an.
»Was im Namen aller Wilddruden treibst du denn hier mitten in der Nacht?«
fragte er.
»Ich gehe fort, hinaus in den Wald«, antwortete Ronja.
»Richte das Lovis aus.«
»Warum sagst du's ihr nicht selber?« fragte Tjegge.
»Nein, denn dann würde sie mich nicht gehen lassen. Und ich will nicht daran gehindert werden.«
»Und was, glaubst du, sagt dein Vater dazu?« fragte Tjorm.
»Mein Vater«, sagte Ronja nachdenklich.
»Habe ich einen Vater?«
Sie gab ihnen zum Abschied die Hand.
»Grüßt alle! Vergeßt Glatzen-Per nicht. Und denkt manchmal an mich, wenn ihr tanzt und eure Lieder
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