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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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finden, und die Spitze bohrte sich langsam von unten durch das Keilbein. Als sie in der Keilbeinhöhe war und die Dura propria, die die Hypophyse umgebende Membran, durchstach, schrie der Patient auf, und seine Muskulatur spannte sich an.
    »Es läuft alles bestens, Mr. Luft. Das Schlimmste haben wir jetzt hinter uns. Der Schmerz ist schon vorbei.«
    Wie Yarborough vorausgesagt hatte, entspannte sich der Patient langsam wieder, und seine Beschwerden verschwanden.
    Das Durchstechen der Dura verursachte immer diese kurze Schmerzattacke im Stirnbereich. Sorgen machte das Yarborough nicht.
    Seine Assistentin reichte ihm die Spritze mit der Zellsuspension.
    Yarborough führte die Nadelspitze durch das gerade gebohrte Loch im Keilbein. Vorsichtig drückte er den Inhalt der Spritze in den Türkensattel. Er sah die Zellen sich in ihrer neuen Umgebung ausbreiten, wachsen, sich zu gesunden neuen Kolonien ausbreiten. Zellkraftwerke, die die Hormone eines jungen Hirns in den Körper pumpten. Hormone, die Mr. Luft selbst nicht mehr zu produzieren vermochte.
    Er zog die Nadel wieder heraus. Keinerlei Blutungen waren aufgetreten, eine gute, saubere Arbeit.
    »Es hat perfekt geklappt«, sagte er zu seinem Patienten. »Wir werden das stereotaktische Gerät jetzt entfernen, und Sie sollten noch etwa eine halbe Stunde liegen bleiben, während wir Ihren Blutdruck überwachen.«
    »War es das?«
    »Wir sind fertig. Sie sind mit fliegenden Fahnen durchs Ziel.«
    Er nickte seiner Assistentin zu
.
»Ich bleibe und beobachte ihn. Wenn er fertig zum Aufbruch nach Brant Hill ist, rufe ich den Wagen.«
    »Was machen wir mit …« Seine Assistentin sah zur Tür, die in den anderen Raum führte.
    Yarborough zog die Handschuhe aus. »Darum kümmere ich mich dann auch, Monica. Sie machen sich an das andere Problem.«
    Das Thermometer an der Wand zeigte knapp zwei Grad Celsius.
    Toby saß zusammengekauert in einer Ecke, die Knie unter das Kinn gezogen, mit einer Plastikplane über den Schultern. Sie hatte als Leichentuch gedient, und so strömte sie noch den Formalingeruch aus. Zuerst war sie vor der Idee zurückgeschreckt.
    Bei dem Gedanken, einem Toten die Decke wegzu-ziehen, um sie selber zu benutzen, war ihr fast schlecht geworden. Aber dann hatte sie vor Kälte zu zittern begonnen und gewußt, daß sie keine andere Wahl hatte. Nur so konnte sie ihre restliche Körperwärme bewahren.
    Doch nur am Leben zu bleiben war nicht genug. Stunden waren inzwischen vergangen, und Hände und Füße hatten jedes Gefühl verloren. Zumindest hatte damit ihr Arm aufgehört zu schmerzen. Aber auch das Nachdenken fiel ihr schwer. Sie versuchte im Augenblick nur noch sich einzuhämmern, daß sie auf keinen Fall einschlafen durfte.
    Und bald würde ihr sogar das nicht mehr gelingen.
    Ihr Kopf sank hin und wieder fast auf den Boden herab, und die Gliedmaßen wurden schlaff und schlaffer. Zweimal zitterte sie sich wieder wach und merkte dabei, daß sie sich schon auf die Seite gelegt hatte. Das Licht war noch an. Dann schlief sie wirklich ein.
    Und träumte. Nicht in Bildern, sondern in Tönen. Zwei Personen sprachen miteinander – ein Mann und Jane Nolan. Ihre Stimmen klangen verzerrt, metallisch. Sie hatte das Gefühl, als würde sie in einer schwarzen Flüssigkeit schwimmen, und ein angenehmer Hauch von Wärme fuhr über ihr Gesicht.
    Dann fiel sie. Sie wurde wach und zuckte hoch. Sie hatte im Dunkeln auf der Seite gelegen. Unter ihrer Wange spürte sie einen Teppich.
    Durch die Finsternis nahm sie einen Lichtschimmer wahr. Eine Tür fiel quietschend zu. Sie wollte sich bewegen, konnte es aber nicht. Die Hände waren ihr hinter dem Rücken gefesselt. Ihre Füße fühlten sich taub und nutzlos an. Sie hörte eine andere Tür zufallen, und dann wurde ein Motor gestartet.
    »Sollten wir nicht das Tor schließen?« sagte ein Mann.
    Eine weibliche Stimme antwortete. Es war Jane Nolans. »Ich habe den Hund angebunden. Er rennt nicht raus. Fahren wir.«
    Es ging über eine holprige Straße. Die Straße, die zum Haus führt, dachte Toby. Wohin brachten sie sie? Ein plötzlicher Stoß des Wagens ließ ihre linke Schulter gegen den Wagenbogen prallen, und fast hätte sie vor Schmerz aufgeschrien. Sie lag auf dem verletzten Arm. Die lindernde Kühle des Raums, in dem sie gewesen war, wirkte nun nicht mehr, und die Schmerzen waren wieder da. Mit einer gewaltigen Anstrengung drehte sie sich um und kam in Rückenlage, aber gleichzeitig war sie jetzt mit etwas Kaltem und

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