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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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Schlaicher wieder.
    »Oh Gott«, hörte er Melanie bestürzt ins Mikrofon sagen. Sie senkte
es erst, nachdem sie tonlos hinzugefügt hatte: »So viel Blut!«
    Darauf folgte pure Hysterie. Wer nicht schon von der in Richtung
aller Ausgänge drängenden Menschenmasse ergriffen worden war, wer das Blut
nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, begann spätestens jetzt, von dem
plötzlich alles erfassenden Geruch der Furcht angesteckt zu werden. Schlaicher
hingegen ging nur noch ein Gedanke durch den Kopf: Martina!
    Mit aller Kraft kämpfte er gegen die Massen an. Doch anstatt näher
an Martina heranzukommen, wurde er zum Ausgang am nördlichen Ende des
Marktplatzes gedrückt. Er schaffte es, hinter den großen Steinquader zu kommen,
der die Menge wie ein Fels in der Brandung teilte. Dahinter hielten sich fünf
verängstigte Mädchen an den Händen. »Wir müssen hier weg!«, hörte Schlaicher
eines davon quietschen. Gleich darauf waren sie im Strom der panischen Masse
verschwunden.
    Schlaicher holte tief Luft und warf sich gegen die Menschen, die an
der rechten Seite des Quaders vorbeidrängten. Er wurde abgetrieben wie ein
Schwimmer von einer zu starken Strömung, und irgendjemand boxte ihm schmerzhaft
gegen den Oberkörper, doch dann war er plötzlich hindurch und stand relativ
sicher am Getränkestand des »Wilden Mannes«, der nur an der der Bühne
zugewandten Seite stark bedrängt war. Zwischen umgeworfenen Krügen und
Kunststoffgläsern stand ein Jugendlicher auf dem aus Tischen gebildeten Tresen
und rief ständig: »Sandra! Sandra!« Schlaicher nutzte den Moment und zog sich
ebenfalls auf die unter dem ungewohnten Gewicht wackelnden Tische. Endlich
stand er frei genug, um sich umzuschauen.
    »Martina! Martina!«, brüllte er. Doch das war, als wollte er gegen
einen Düsenjet anschreien. Von hier aus sah Schlaicher nun auch das Blut. Die
Menschen, die davon besudelt im Pulk auf den Ausgang zusteuerten, mussten in
direkter Nähe der Explosion gewesen sein. Eine Frau hielt ihren Kopf und führte
danach die Hand vors Gesicht. Sie war leuchtend rot. Wie grell Blut sein
konnte. Die Frau wurde blass und verlor den Halt, ihr Gesicht war plötzlich
einen Kopf tiefer, dann verschwand sie unter der trampelnden Menge. Sie tauchte
nicht wieder auf. Angewidert wandte Schlaicher den Blick ab von den Menschen,
die für einen Moment zu wachsen schienen, wenn sie über die gestürzte Frau
liefen.
    »Martina!«, brüllte er, wohl wissend, dass sie ihn nicht hören
konnte. Aber es war im Moment das Einzige, was er tun konnte.
    Allmählich kamen die blutenden Menschen näher. Sie drängten und
quetschten, schrien und klagten, doch Schlaicher fiel auf, dass kaum jemand
wirklich Schmerzen zu haben schien. Auf einmal kam ihm die Farbe des sie
bedeckenden Blutes nicht nur hell, sondern viel zu hell vor. Die Haare wirkten
fast wie gefärbt, hingen nicht in verklumpten Strähnen von den Köpfen, wie man
eigentlich erwarten würde. Dann hörte Schlaicher jemanden rufen: »Es isch numme
Faarb. Verdammi nomoliine. Loos, hör uff so z’drugge, du Dubel.« Der Rest ging
im Lärm unter, aber Schlaicher wusste, dass der Unbekannte recht hatte. So, wie
die Leute aussahen, hatten sie rote Farbe abbekommen. Aber es gab auch Leute,
die wirklich bluteten und sich die Gesichter hielten oder einen Arm. Ihr Blut
floss ganz anders, flüssiger und lebendiger.
    Langsam wurde der Platz leerer, und die schwindende Menge gab den
Blick frei auf am Boden liegende Menschen. Manche krümmten sich in Schmerzen
wie sterbende Fische, andere lagen reglos da. Ganz in der Mitte war am meisten
Bewegung. Dort knieten Leute bei den Verletzten, hielten Köpfe und vergossen
Tränen. Rot gesprenkelte Gestalten auf einem von Farbpfützen fleckigen Platz.
    Schlaicher konnte Martina nirgends sehen. War sie mit den anderen zu
irgendeinem Ausgang gespült worden?
    »Sandra!«, rief der Junge neben Schlaicher. Sein Ruf klang zum
ersten Mal nicht mehr verzweifelt. Er sprang vom Tisch und nahm ein Mädchen in
den Arm, das einiges an Farbe abbekommen hatte. Sie verteilte bei der Umarmung
einen Großteil davon auf seiner Kleidung. Wie in Trance ließ Schlaicher seinen
Blick über die immer noch hinausströmenden Menschen an den Rändern des
Marktplatzes schweifen. Als er Martina nirgends entdecken konnte, konzentrierte
er sich wieder auf die Mitte. Er schüttelte den Kopf über die sinnlose Kraft,
die die Mitte des Platzes in ein Schlachtfeld verwandelt hatte, wo die
zerfetzten Teile des

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