Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
Vom Netzwerk:
Uhrzeit
ging niemand mehr aufs Feld. Und Gassi gingen die Bühlers mit dem Hund bestimmt
auch nicht. Belledin musste bei dem Gedanken unfroh grinsen und dachte an
seinen Vater. »Tiere sind Tiere, und Menschen sind Menschen«, hatte er immer
streng doziert. Damit hatte er dem kleinen Belledin klarmachen wollen, dass Tiere
im Haus nichts zu suchen hatten. Und eine Katze hatte Mäuse zu fangen und nicht
auf der warmen Ofenbank zu liegen. Belledins Vater hatte keinen Streichelzoo
gebraucht, das hatte Belledin auch an sich selbst erfahren. Und er hatte sich
dann immer gefragt, wozu er wohl gehörte, zu den Tieren oder zu den Menschen.
    »Arthur? Helga?«, rief er. Aber er erhielt keine Antwort. »Isch
ebber daheim?«, setzte er nach, und er war sich nicht sicher, ober er hoffen
sollte, dass ihm weiterhin niemand antwortete.
    Am Nachthimmel schoben sich fette Wolken über den Halbmond. So wie
man für wenige Stunden tagsüber die Sonne im Hof hatte, so blinzelte auch der
Mond für Momente herein. Der aufkommende Wind raschelte in den Blättern der
Birken, die sich hinter dem Haus erhoben. In den Hof drangen einzelne Lüftchen
durch undichte Paneelen im Tor.
    Belledin wagte noch ein letztes: »Hallo?«, dann wollte er wieder
gehen. Er hätte sich gerne bei den Bühlers für die Vernehmung entschuldigt. Es
waren hochanständige Leute, die fleißig ihrer täglichen Arbeit nachgingen. Sie
hatten keine Flausen im Kopf, wollten nicht die Welt regieren, lebten
bescheiden, wie sie es von ihren Vorfahren gelernt hatten. Und Belledin hatte
sie verdächtigt. Hier im Hof war es ihm fast, als hätte er seinen eigenen Vater
des Mordes bezichtigt. Der Geruch erinnerte ihn so sehr an sein altes Zuhause,
dass er sich alle Mühe geben musste, nicht nach seiner Mutter zu rufen, ihr
anzukündigen, dass er von der Dorfdisco wieder zurück sei.
    Warum konnte ein Fall nicht einfach ein Fall sein? Warum musste
Belledin immer persönlich involviert sein? War das immer so gewesen? Hatte er
früher auch stets alles auf sich bezogen, mit sich verglichen? Er konnte sich
nicht daran erinnern, dass dem so gewesen wäre. Früher war er ein Polizist
gewesen, der den Schurken auf Gedeih und Verderb nachhetzte. Ein Spürhund, der
nicht locker ließ, bis er den Fasan zwischen den Zähnen hatte. Bissiger als
Asta.
    »Aschta!«, rief er laut und knurrte dabei, als wollte er einen
Werwolf zum Tanz bitten. Aber Asta antwortete nicht. Dafür glaubte Belledin ein
Schluchzen zu hören. War es ein Schluchzen aus der eigenen Vergangenheit, das
aus dem Zwinger kam? In Belledin stiegen Bilder hoch, die er längst verbannt
hatte.
    »Tiere sind Tiere und Menschen sind Menschen«, flüsterte er. Wie oft
hatte ihn sein Vater über Nacht zu den beiden Hunden in den Zwinger gesperrt,
wenn er mal wieder etwas ausgefressen hatte. Erst hatte es den kleinen Belledin
geschmerzt, dann aber hatte er in der fünften Klasse von Remus und Romulus
gehört. Diese beiden waren von Wölfen gesäugt worden; ihre Kraft war daraus
gewachsen, dass sie mit den Tieren das Lager geteilt hatten. Und einer davon
war so stark geworden, dass er Rom gegründet hatte. Zwar hatte Belledin keinen
leiblichen Bruder zu erschlagen gehabt, dafür aber stets mit dem Bruder Zweifel
gerungen, ob er nun zu den Tieren oder zu den Menschen gehörte.
    Es zog ihn magisch zum Zwinger. Erneut vernahm er das Schluchzen. Je
näher er kam, umso klarer wurde ihm, dass es nicht das Schluchzen seiner
Kindheit war, sondern aus anderer Kehle drang.
    Die Wolken verzogen sich, der Halbmond erhellte den Zwinger und
präsentierte Belledin einen bizarren Anblick.
    Helga, in Küchenschürze und mit einem Geschirrtuch, an das sie sich
klammerte, drückte sich an die Rückwand des Zwingers. Von ihr kam das
Schluchzen; gepresste Stoßseufzer, die mit dem Leben haderten. Vor ihr,
umzingelt von gut fünf leeren Weinflaschen, hockte Bühler. Verloren stierte er
auf die tote Asta, die reglos zwischen seinen Beinen lag. Aus ihrer
aufgeschlitzten Kehle troff noch Blut. Die Klinge des Okuliermessers schimmerte
im Mondlicht bläulich-rot.
    Belledin musste sich sammeln. War er in einem Kapitel von Maria Bava
gelandet? War der Splatter näher, als er angenommen hatte? Würden die Bühlers
sich gleich in Werwölfe verwandeln und ihn anspringen? Aber es war nicht
Vollmond, dachte Belledin und zwang sich, einen klaren Kopf zu behalten.
    Bühler hatte den Schatten bemerkt, der Teile des Mondlichts
verdunkelte. Er blickte auf.
    »Ich hab sie nimmi

Weitere Kostenlose Bücher