Rousseau's Bekenntnisse
verschiedene Gegenstände in drei nur lose zusammenhängenden Aufzügen, deren jeder einen besonderen musikalischen Charakter erhalten sollte, durchzuführen gedachte; und da ich zum Gegenstande eines jeden die Liebeshändel eines Dichters gewählt, so nannte ich diese Oper »Die galanten Musen.« In meinem ersten Aufzug, in kräftiger Musik gehalten, bildete Tasso den Mittelpunkt; in dem zweiten, in welchem zärtliche Melodien vorherrschten, Ovid; während der dritte, Anakreon mit Namen, die Heiterkeit des Dithyrambus athmen sollte. Ich versuchte mich zunächst an dem ersten Aufzuge und ließ mich von einem Eifer hinreißen, der mich zum ersten Male die Wonne empfinden ließ, welche das Schaffen auf dem Gebiete der Tonkunst gewährt. Im Begriff eines Abends gerade in das Opernhaus einzutreten, fühle ich mich plötzlich von meinen Gedanken so durchdrungen und beherrscht, daß ich mein Geld wieder in die Tasche stecke und nach Hause eile, um mich einzuschließen. Nachdem ich die Vorhänge sorgfältig herabgelassen, um das Tageslicht fern zu halten, lege ich mich zu Bette, und nun überlasse ich mich ganz der dichterischen und musikalischen Begeisterung und componire in sieben oder acht Stunden wie im Fluge den größten Theil meines Aktes. Ich muß offen gestehen, daß meine Liebe zu der Prinzessin von Ferrara (denn ich war in diesem Augenblick der Tasso), und meine edelen und stolzen Gesinnungen ihrem ungerechten Bruder gegenüber, mir eine hundertmal köstlichere Nacht gewährten, als wenn ich sie in den Armen der Prinzessin selbst verlebt hätte. Am Morgen erinnerte ich mich nur noch eines kleinen Theiles dessen, was ich geschaffen hatte; aber dieses Wenige, durch die Müdigkeit und den Schlaf überdies fast verwischt, ließ doch die Kraft des Ganzen noch erkennen, dessen spärliche Ueberreste es bildete.
Für dieses Mal führte ich die Arbeit nicht allzu weit fort, da ich durch andere Verhältnisse von ihr abgezogen wurde. Während ich mich der Familie Dupon anschloß, hatten mich Frau von Beuzenval und Frau von Broglie, die ich nach wie vor bisweilen besuchte, nicht vergessen. Der Graf von Montaigu, Hauptmann in den Garden, war unlängst zum Gesandten in Venedig ernannt worden. Er war ein Gesandter von der Mache Barjacs, [Fußnote: Barjac war Kammerdiener des Cardinals von Fleury.] dem er sehr emsig den Hof machte. Sein Bruder, der Chevalier von Montaigu, Kammerjunker des Kronprinzen, war ein Bekannter dieser beiden Damen und des Abbé Alary von der französischen Akademie, mit dem ich ebenfalls hin und wieder zusammentraf. Frau von Broglie, welche erfahren hatte, daß sich der Gesandte nach einem Secretär umsähe, schlug mich vor. Wir traten in Unterhandlung. Ich forderte fünfzig Louisd'or Gehalt, was bei einer Stelle, in der man eine gewisse Rolle spielen muß, sehr wenig war. Er wollte mir nur hundert Pistolen bewilligen und verlangte, ich sollte die Reisekosten selbst bestreiten. Ein solches Anerbieten war lächerlich. Wir konnten nicht einig werden. Herr von Francueil, der sich Mühe gab, mich zurückzuhalten, trug den Sieg davon. Ich blieb, und Herr von Montaigu reiste ab, begleitet von einem andern Secretär, einem Herrn Follau, den ihm das Ministerium des Auswärtigen überlassen hatte. Kaum waren sie jedoch in Venedig, als sie sich schon entzweiten. Follau, welcher einsah, daß er es mit einem Narren zu thun hatte, ließ ihn in Stich, und nun wandte sich Herr von Montaigu, da er nur noch einen jungen Abbé, einen Herrn von Binis, hatte, welcher dem Secretär als Schreiber diente und dessen Stelle nicht auszufüllen im Stande war, wieder an mich. Sein Bruder, der Chevalier, ein Mann von Geist, verstand mich unter Hinweis auf die mit der Stelle eines Secretärs verbundenen Rechte so geschickt zu bearbeiten, daß ich mich endlich mit einem Gehalte von tausend Francs einverstanden erklärte. Als Reisekosten erhielt ich zwanzig Louisd'or und reiste ab.
1743 – 1744
Von Lyon aus hätte ich gern den Weg über den Mont Cenis eingeschlagen, um meine arme Mama auf der Durchreise zu besuchen, aber ich fuhr die Rhone hinab und schiffte mich in Toulon ein, sowohl wegen des Krieges und aus Sparsamkeit, als auch um mir einen Paß von Herrn von Mirepoix ausstellen zu lassen, der damals in der Provence commandirte und an den ich gewiesen war. Herr von Montaigu, der sich ohne mich nicht behelfen konnte, schickte mir einen Brief nach dem andern, meine Reise zu beeilen. Ein Zwischenfall verzögerte sie.
Die Pest
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