Rousseau's Bekenntnisse
auf diese Weise ein Commis des Herrn Thelusson, der ihn höchstens zuweilen, wenn sonst niemand da war, an seinem Tische duldete, plötzlich zu der Tafel eines Marschalls von Frankreich in Gesellschaft von Prinzen und Herzoginnen und allem, was es von Großen am Hofe gab, zugelassen. Ich werde nie vergessen, daß eines Tages, als er gezwungen war, schon früh nach Paris zurückzukehren, der Herr Marschall nach dem Mittagsmahl zu der Gesellschaft sagte: »Lassen Sie uns einen Spaziergang auf dem Wege nach Saint-Denis machen, wir geben dadurch Herrn Coindet das Geleit.« Das war zu viel für den armen Jungen, er verlor völlig den Kopf. Was mich anlangt, so war mir das Herz so gerührt, daß ich nicht ein einziges Wort hervorbringen konnte. Weinend wie ein Kind und vor Begierde sterbend, die Fußstapfen dieses guten Marschalls zu küssen, ging ich hinterher. – Aber der Verlauf dieser Abschriftsgeschichte hat mich der Zeit vorgreifen lassen. Wir wollen uns wieder an sie halten, so weit es nur mein Gedächtnis erlauben wird.
Sobald das kleine Haus zu Saint-Louis fertig war, ließ ich es anständig, aber einfach ausmöbliren und kehrte in dasselbe zurück, da ich das Gesetz, welches ich mir beim Scheiden von der Eremitage gemacht hatte, immer meine eigene Wohnung zu haben, nicht aufgeben konnte; allein ich konnte mich auch nicht dazu entschließen, meine Wohnung in dem kleinen Schlosse zu verlassen. Ich behielt den Schlüssel, und da ich großes Gefallen an den hübschen Frühstücken in der Säulenhalle fand, schlief ich oft daselbst und brachte dort mitunter zwei oder drei Tage wie in einem Landhause zu. Vielleicht war ich damals in Bezug auf Wohnung der am besten und angenehmsten versorgte Privatmann in Europa. Mein Wirth, Herr Mathes, der der beste Mensch von der Welt war, hatte mir die Leitung der Ausbesserungen in Mont-Louis vollständig überlassen und verlangte, daß ich über seine Arbeiter verfügte, ohne daß er sich auch nur hineinmischte. So machte ich es möglich, mir aus einem einzigen Zimmer im ersten Stock eine vollständige Wohnung, aus Zimmer, Vorzimmer und Garderobe bestehend, herzustellen. Im Erdgeschoß befanden sich die Küche und Theresens Zimmer. Der Thurm diente mir, nachdem darin eine mit Fenstern versehene Zwischenwand und ein Kamin angebracht war, als Arbeitszimmer. Wenn ich dort war, hatte ich meine Freude daran, die Terrasse, welche schon zwei Reihen junger Lindenbäume beschatteten, noch zu verschönern: ich ließ, um einen Laubgang anzulegen, noch zwei andere anpflanzen; ich ließ einen Tisch und Bänke von Stein daselbst aufstellen; ich umgab sie mit Flieder, Jasmin und Geisblatt und ließ längs den beiden Baumreihen eine schöne Blumeneinfassung anlegen. Und diese höher als die des Schlosses gelegene Terrasse, von der man eine mindestens eben so schöne Aussicht genoß und deren dort nistende Vögel ich zahm gemacht hatte, diente mir als Empfangssaal, um daselbst Herr und Frau von Luxembourg, den Herzog von Villeroy, den Prinzen von Tingry, den Marquis von Armentières, die Herzogin von Montmorency, die Herzogin von Boufflers, die Gräfin von Valentinois, die Gräfin von Boufflers und andere Personen gleichen Ranges willkommen zu heißen, die es nicht unter ihrer Würde hielten, vom Schlosse auf einem ermüdend steilen Wege nach Mont-Louis zu pilgern. Alle diese Besuche verdankte ich der Güte des Herrn und der Frau von Luxembourg; ich fühlte es, und mein Herz war ihnen aufrichtig dankbar. In einer dieser Aufwallungen zärtlicher Rührung sagte ich einmal zu Herrn von Luxembourg, indem ich ihn umarmte: »Ach, Herr Marschall, ehe ich Sie kannte, haßte ich die Großen und hasse Sie jetzt noch mehr, seitdem Sie mich so deutlich empfinden lassen, wie leicht es ihnen sein würde, sich zum Gegenstande der Anbetung zu machen.«
Uebrigens fordere ich alle, die mich während dieses Zeitabschnittes gesehen haben, auf, mir zu bezeugen, ob sie je bemerkt, daß mich dieser Glanz auch nur einen Augenblick geblendet habe, daß mir dieser Weihrauchsduft zu Kopfe gestiegen sei, ob sie mich in meiner Haltung weniger gleichmäßig, in meinem Benehmen weniger einfach, im Verkehre mit dem Volke weniger umgänglich, gegen meine Nachbarn weniger vertraulich und weniger bereit gesehen haben, jedermann zu dienen, sobald ich es nur konnte, und ohne mich von den zahllosen und oft unvernünftigen Belästigungen zurückstoßen zu lassen, die ich unaufhörlich zu erdulden hatte. Wenn mich mein Herz nach dem
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