Rousseau's Bekenntnisse
bin ich so heiter gewesen.
Ich habe erzählt, wie ich in meiner Jugend den Schlaf verlor. Seitdem hatte ich es mir angewöhnt, alle Abende im Bette zu lesen, bis ich meine Augen schwer werden fühlte. Dann löschte ich mein Licht und suchte einzuschlafen, was mir auch meistentheils in wenigen Augenblicken gelang. Meine gewöhnliche Abendlectüre war die Bibel, und ich habe sie auf diese Weise wenigstens fünf- oder sechsmal hintereinander ganz gelesen. Da ich an diesem Abende wacher als sonst war, setzte ich meine Lectüre länger fort und las das ganze Buch aus, das am Ende von dem Leviten von Ephraim erzählt. Es ist, wenn ich mich nicht irre, das Buch der Richter, denn seit jener Zeit habe ich es nicht wiedergesehen. Diese Geschichte regte mich sehr auf, und ich beschäftigte mich gerade in einem traumartigen Zustande mit ihr, als ich mit einem Mal durch Geräusch und Licht aus ihm gerissen wurde. Therese, die es trug, leuchtete Herrn La Roche, der, als er sah, wie ich mich rasch in die Höhe richtete, zu mir sagte: »Erschrecken Sie nicht; ich komme von der Frau Marschall, die Ihnen schreibt und einen Brief des Prinzen Conti sendet.« In der That fand ich in dem Briefe der Frau von Luxembourg den inneliegend, den ihr so eben ein besonderer Bote von dem Prinzen gebracht hatte; er theilte ihr darin mit, daß man trotz aller seiner Anstrengungen entschlossen wäre, mit aller Strenge gegen mich vorzugehen. »Die Aufregung,« schrieb er ihr, »ist außerordentlich groß. Nichts vermag den Schlag abzuwenden; der Hof verlangt es, das Parlament will es; morgen früh sieben Uhr wird der Haftbefehl gegen ihn erlassen werden, und man wird seine Verhaftung sofort vollstrecken lassen. Ich habe durchgesetzt, daß man ihn nicht verfolgen wird, wenn er sich entfernt; will er sich jedoch durchaus verhaften lassen, so wird er gefänglich eingezogen werden.« La Roche beschwor mich im Namen der Frau Marschall aufzustehen und mich zu einer Berathung zu ihr zu begeben. Es war zwei Uhr; sie hatte sich bereits niedergelegt. »Sie erwartet Sie,« fügte er hinzu, »und will nicht einschlafen, ehe sie Sie nicht gesehen hat.« Ich kleidete mich schnell an und eilte zu ihr.
Sie kam mir aufgeregt vor. Es war das erste Mal. Ihre Unruhe rührte mich. In diesem Augenblicke der Ueberraschung, mitten in der Nacht, war ich selbst von Aufregung nicht frei. Als ich sie aber sah, vergaß ich mich selbst, um nur an sie und die traurige Rolle zu denken, die sie spielen würde, wenn ich mich verhaften ließ; denn fühlte ich auch genug Muth in mir, um nichts als die Wahrheit zu sagen, sollte sie mir auch schaden und mich verderben, so fühlte ich doch nicht genug Geistesgegenwart, noch genug Gewandtheit und vielleicht nicht einmal genug Festigkeit in mir, um sicher zu sein, daß ich die Frau Marschall nicht bloßstellen würde, wenn man mich einem scharfen Verhöre unterzog. Dies bestimmte mich, meinen Ruhm ihrer Ruhe zu opfern, bestimmte mich, bei dieser Gelegenheit für sie das zu thun, was nichts in der Welt von mir erzwungen hätte, für mich selbst zu thun. Augenblicklich theilte ich ihr den Entschluß, den ich gefaßt hatte, mit, weil ich den Werth meines Opfers nicht dadurch verringern wollte, das ich es mir abkaufen ließ. Sie konnte sich, dessen bin ich sicher, über meinen Beweggrund nicht täuschen; gleichwohl sagte sie mir nicht ein Wort, um mir ihre Dankbarkeit dafür auszudrücken. Diese Gleichgültigkeit beleidigte mich in dem Grade, daß ich unschlüssig wurde, ob ich mein Wort nicht zurücknehmen sollte, aber der Herr Marschall kam dazu und Frau von Boufflers langte einige Augenblicke später von Paris an. Sie thaten, was Frau von Luxembourg hätte thun sollen. Ich ließ mir schmeicheln, ich schämte mich, zu widerrufen, und es war nur noch von dem Orte, nach dem ich mich zurückziehen sollte, und von der Zeit meiner Abreise die Rede. Herr von Luxembourg schlug mir vor, einige Tage incognito bei ihm zu bleiben, um zu überlegen und meine Maßregeln in größerer Muße zu treffen. Ich ging nicht darauf ein, auch nicht auf den Vorschlag, mich im Geheimen nach dem Temple zu begeben. Ich bestand darauf, noch an demselben Tage abreisen zu wollen, viel lieber als hier noch länger irgendwo versteckt zu bleiben.
Ueberzeugt, daß ich im Königreiche geheime und mächtige Feinde hatte, war ich der Ansicht, daß ich trotz meiner Vorliebe für Frankreich es doch verlassen müßte, wollte ich in Frieden leben. Mein erster Gedanke war, mich nach
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