Rousseau's Bekenntnisse
Genf zurückzuziehen; aber ein Augenblick der Ueberlegung genügte, um mich davon zurückzubringen, diese Thorheit zu begehen. Ich wußte, daß das französische Ministerium, in Genf noch mächtiger als in Paris, mich in einer dieser beiden Städte nicht mehr in Frieden lassen würde als in der andern, wenn es einmal entschlossen war, mich zu quälen. Ich wußte, daß die »Abhandlung über die Ungleichheit« im Rathe einen um so gefährlicheren Haß gegen mich erregt hatte, als er ihn nicht kund zu geben wagte. Ich wußte, daß er sich beim Erscheinen der »Neuen Heloise« beeilt hatte, sie auf Anregung des Doctors Tronchin zu verbieten; als er jedoch sah, daß niemand dem gegebenen Beispiele folgte, nicht einmal in Paris, schämte er sich dieser Unbesonnenheit und nahm das Verbot zurück. Ich zweifelte nicht, daß er sich Mühe geben würde, diese Gelegenheit, die ihm günstiger erscheinen mußte, zu benutzen. Ich wußte, daß trotz alles schönen Anscheins doch in aller Genfer Herzen eine geheime Eifersucht gegen mich herrschte, die nur auf die Gelegenheit zu ihrer Befriedigung wartete. Nichtsdestoweniger rief mich die Vaterlandsliebe in meine Heimat zurück, und hätte ich mir schmeicheln dürfen, dort im Frieden zu leben, würde ich nicht geschwankt haben; aber da mir Ehre und Vernunft nicht gestatteten, dort als Flüchtling ein Asyl zu suchen, so entschloß ich mich, nur näher bei meiner Vaterstadt zu wohnen und in der Schweiz abzuwarten, was man in Genf hinsichtlich meiner thun würde. Man wird bald sehen, daß diese Ungewißheit nicht lange dauerte.
Frau von Boufflers wollte von diesem Entschlusse durchaus nichts wissen und machte von neuem Anstrengungen, mich zur Uebersiedelung nach England zu bewegen. Sie erschütterte mich nicht. Ich hatte England und die Engländer nie geliebt, und die ganze Beredtsamkeit der Frau von Boufflers hat mein Widerstreben nicht nur nicht besiegt, sondern schien es nur noch zu vermehren, ohne daß ich wußte warum.
Entschlossen, noch den nämlichen Tag abzureisen, war ich von früh an für jeden abgereist, und La Roche, durch den ich mir meine Papiere holen ließ, wollte nicht einmal Therese sagen, ob ich es wäre oder nicht. Seit meinem Entschlusse, dereinst meine Denkwürdigkeiten zu schreiben, hatte ich viele Briefe und andere Papiere angesammelt, so daß er mehrmals gehen mußte. Ein Theil dieser schon gesichteten Papiere wurde bei Seite gelegt, und ich beschäftigte mich während der übrigen Morgenzeit mit der Sichtung der andern, damit ich nur das Brauchbare mitnehmen und den Rest verbrennen könnte. Herr von Luxembourg hatte die Freundlichkeit, mir bei dieser Arbeit Beistand zu leisten, die so zeitraubend war, daß wir sie im Laufe des Vormittags nicht vollenden konnten und ich nicht Zeit hatte, etwas zu verbrennen. Der Herr Marschall erbot sich, die Sichtung der übrigen Papiere zu übernehmen, die werthlosen persönlich zu verbrennen, ohne es einem andern, wer es auch sein mochte, zu übertragen, und mir die aufbewahrten zu senden. Sehr froh, dadurch dieser Sorge überhoben zu sein, nahm ich das Anerbieten an, um die wenigen mir noch bleibenden Stunden, mit so theuren Personen, die ich für immer verlassen sollte, verleben zu können. Er nahm den Schlüssel des Zimmers, in dem ich diese Papiere ließ, an sich und schickte auf mein inständiges Bitten nach meiner armen Tante, die sich in tödtlicher Angst über mein Verbleiben und das ihr bevorstehende Loos verzehrte, da sie jeden Augenblick die Gerichtsdiener erwartete und nicht wußte, wie sie sich benehmen und was sie ihnen sagen sollte. La Roche führte sie nach dem Schlosse, ohne ihr etwas zu sagen; sie glaubte mich schon weit entfernt; als sie meiner ansichtig wurde, stieß sie einen lauten Schrei aus und stürzte sich in meine Arme. O Freundschaft, Eintracht der Herzen, Gewohnheit, Vertrautheit! In diesem süßen und doch wieder so bittren Augenblick flossen alle gemeinsam verlebten Tage des Glückes, der Zärtlichkeit und des Friedens zusammen, um mir den Schmerz der ersten Trennung, nachdem wir uns siebzehn Jahre lang kaum einen Tag aus den Augen verloren hatten, nur um so empfindlicher zu machen. Zeuge dieser Umarmung, konnte der Marschall seine Thränen nicht zurückhalten. Er ließ uns allein. Therese wollte mich nicht mehr verlassen. Ich machte sie auf das Mißliche aufmerksam, mir in diesem Augenblick zu folgen, und auf die Nothwendigkeit, daß sie bliebe, um mein bewegliches Eigenthum zu veräußern
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