Rousseau's Bekenntnisse
aufzubieten vermochte; er hörte auf sie, kehrte zu seiner Pflicht gegen seine Mutter zurück und nahm aus den Händen seines Obristen das eingereichte Entlassungsschreiben zurück, von dem derselbe klüglicherweise noch keinen Gebrauch gemacht hatte, um ihm zu reiflicher Ueberlegung Zeit zu lassen. Von seiner Thorheit zurückgekommen, beging Saint-Brisson eine weniger anstößige, die mir aber eben so wenig gefiel: er fing an zu schriftstellern. Er gab hinter einander zwei oder drei Flugschriften heraus, welche verriethen, daß ihr Verfasser nicht ohne Talent war, hinsichtlich derer ich mir aber nicht den Vorwurf zuziehen werde, ihm Lobsprüche ertheilt zu haben, die ihn zur Fortsetzung dieser Laufbahn hätten ermuthigen können.
Ewige Zeit darauf besuchte er mich, und wir pilgerten zusammen nach der Insel Saint-Pierre. Auf dieser Reise fand ich ihn verschieden von dem, wie er mir in Montmorency erschienen war. Er hatte etwas eigenthümlich Geziertes, das mich anfangs nicht sehr unangenehm berührte, dessen ich jedoch seitdem oft gedacht habe. Er besuchte mich dann noch einmal auf meiner Durchreise durch Paris nach England im Hôtel Saint-Simon. Da erfuhr ich, was er mir nicht gesagt hatte, daß er sich in den höheren Gesellschaftskreisen bewegte und Frau von Luxembourg ziemlich häufig sähe. In Trye gab er mir kein Lebenszeichen und ließ mir durch seine Verwandte, Fräulein Séguier, die meine Nachbarin war und nie sehr wohlgesinnt gegen mich zu sein schien, nichts sagen. Mit einem Worte, die Schwärmerei des Herrn von Brisson hörte wie der freundschaftliche Verkehr mit Herrn von Feins mit einem Male auf; allein während dieser keine Verpflichtung gegen mich hatte, mußte er sich mir verpflichtet fühlen, falls die Dummheiten, von deren Begehung ich ihn zurückgehalten hatte, von seiner Seite nicht ein Spiel gewesen waren, was im Grunde sehr wohl hätte sein können.
Eben so viele und wohl noch mehr Besuche hatte ich auch aus Genf. Die Delucs, Vater wie Sohn, wählten mich nach einander zu ihrem Krankenwärter: der Vater wurde unterwegs krank, und der Sohn war es schon bei seiner Abreise von Genf; beide richteten sich häuslich bei mir ein. Prediger, Verwandte, Frömmler, Personen allerlei Gattung kamen aus Genf und der Schweiz, nicht wie die Besucher aus Frankreich, um mich zu bewundern und zu verspotten, sondern um mich auszuschelten und mir etwas vorzupredigen. Der Einzige, über den ich mich freute, war Moultou, der drei oder vier Tage bei mir zubrachte und den ich gern noch länger bei mir behalten hätte. Der Beharrlichste von allen, derjenige, der am meisten Ausdauer besaß und mich durch seine Aufdringlichkeit geradezu beherrschte, war ein Herr von Ivernois, ein Großhändler in Genf und französischer Refugié und zugleich ein Verwandter des Generalprocurators von Neufchâtel. Dieser Herr von Ivernois aus Genf hielt sich jährlich zweimal in Motiers auf, lediglich um mich zu besuchen, blieb dann mehrere Tage hintereinander vom Morgen bis zum Abend bei mir, begleitete mich auf meinen Spaziergängen, brachte mir tausenderlei kleine Geschenke mit, schlich sich trotz meines Widerstrebens in mein Vertrauen ein und mischte sich in alle meine Angelegenheiten, ohne daß zwischen ihm und mir irgend eine Uebereinstimmung der Ideen, der Neigungen, der Gefühle oder der Kenntnisse stattgefunden hätte. Ich zweifle, daß er in seinem ganzen Leben je ein Buch irgend einer Gattung völlig bis zu Ende gelesen hat und auch nur weiß, wovon die meinigen handeln. Als ich mich auf die Kräuterkunde zu verlegen begann, begleitete er mich auf meinen botanischen Ausflügen, ohne Lust an diesem Zeitvertreibe, ohne daß er mir oder ich ihm etwas zu sagen gehabt hätte. Er besaß sogar den Muth, drei volle Tage mit mir ganz allein in einem Wirthshause in Goumoins zuzubringen, aus dem ich ihn durch Langeweile zu vertreiben oder wo ich ihm wenigstens verständlich zu machen gehofft hatte, wie sehr er mich langweilte, und das alles, ohne daß es mir möglich gewesen ist, seine unglaubliche Ausdauer zu besiegen oder ihren Grund zu durchschauen.
Unter all diesen Bekanntschaften, die ich nur gezwungenerweise anknüpfte und unterhielt, darf ich die einzige nicht unerwähnt lassen, die mir angenehm war und mein wirkliches Herzensinteresse in Anspruch nahm, nämlich die eines jungen Ungarn, der sich in Neufchâtel angesiedelt hatte und von dort nach Motiers verzogen war, einige Monate nachdem ich meinen Wohnsitz daselbst
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