Rousseau's Bekenntnisse
Frau Le Vasseur und ihre Familie bloßzustellen, anführen konnte, denn die entscheidendsten rührten von dort her, und sie verschwieg ich.
Auf die Verschwiegenheit der Frau Dupin und auf die Freundschaft der Frau von Chenonceaux kann ich mich verlassen; ich konnte auch auf die der Frau von Francueil rechnen, die übrigens lange vor dem Bekanntwerden meines Geheimnisses starb. Die Verbreitung desselben konnte nur von den nämlichen Leuten ausgehen, denen ich es anvertraut hatte, und sie geschah auch wirklich erst nach meinem Bruche mit ihnen. Durch diese Thatsache allein sind sie gerichtet; ohne den verdienten Tadel zurückweisen zu wollen, will ich doch lieber die Schwere desselben tragen, als unter der Last des Vorwurfes zusammensinken, den ihre Bosheit verdient. Mein Fehler ist groß, aber er ist die Folge eines Irrthums; meine Pflichten habe ich vernachlässigt, aber von dem Wunsche zu schaden ist meine Seele frei geblieben und das Vaterherz kann für Kinder, die man nie gesehen hat, nicht sehr laut sprechen; aber das Vertrauen der Freundschaft verrathen, den heiligsten aller Verträge verletzen, die uns anvertrauten Geheimnisse veröffentlichen, den Freund, den man getäuscht hat, und der uns noch achtet, wenn er sich auch von uns trennt, entehren, das sind nicht Fehler, das sind Niederträchtigkeiten und Bosheiten.
Ich habe meine Bekenntnisse und nicht meine Rechtfertigung versprochen; deshalb breche ich hier über diesen Punkt ab. Meine Pflicht ist, wahr, die des Lesers, gerecht zu sein. Mehr werde ich nie von ihm verlangen.
Die Vermählung des Herrn von Chenonceaux machte mir wegen des Talentes und Geistes seiner Gemahlin, einer sehr liebenswürdigen jungen Frau, die mich unter den Schreibern des Herrn Dupin auszuzeichnen schien, das Haus seiner Mutter noch angenehmer. Die junge Dame war die einzige Tochter der Frau Vicomtesse De la Rochechouart, einer großen Freundin des Grafen von Friesen und folglich auch Grimms, der eine hervorragende Stellung in seinem Hause einnahm. Gleichwohl war ich es, der ihn bei ihrer Tochter einführte; aber da ihre Charaktere nicht übereinstimmten, wurde diese Bekanntschaft nicht weiter fortgeführt, und Grimm, der es schon damals auf das Reelle abgesehen hatte, zog die Mutter, eine Frau der großen Welt, der Tochter vor, die zuverlässige Freunde verlangte, welche ihr gefielen, nicht ränkesüchtig waren und nicht um die Gunst der Großen buhlten. Da Frau Dupin in Frau von Chenonceaux nicht alle die Nachgiebigkeit fand, die sie von ihr erwartete, so machte sie derselben ihr Haus sehr freudlos und unfreundlich, und Frau von Chenonceaux, stolz auf ihre Talente und vielleicht auch auf ihre Geburt, verzichtete lieber auf die Annehmlichkeiten des geselligen Verkehrs und blieb auf ihrem Zimmer fast allein, als daß sie ein Joch trug, für das sie sich nicht geschaffen fühlte. Diese Art von Verbannung erhöhte noch meine Anhänglichkeit an sie vermöge jener natürlichen Neigung, die mich zu den Unglücklichen hinzieht. Ich fand einen metaphysischen und nachdenklichen, wenn auch mitunter ein wenig sophistischen Geist bei ihr. Ihre Unterhaltung, die keineswegs einer jungen, erst vor kurzem aus dem Kloster entlassenen Frau glich, war für mich sehr anziehend und fesselnd. Dabei zählte sie noch nicht zwanzig Jahre; ihre Haut war von einer blendenden Weiße; ihr Wuchs wäre bei besserer Haltung stattlich und schön gewesen; ihr aschfarbiges Haar von ungewöhnlicher Schönheit erinnerte mich an das meiner armen Mama in ihren guten Jahren und erregte mein Herz leidenschaftlich. Allein die strengen Grundsätze, die ich in der letzten Zeit gefaßt und um jeden Preis zu beobachten entschlossen war, schützten mich vor ihr und ihren Reizen. Ich bin einen ganzen Sommer hindurch täglich drei bis vier Stunden mit ihr allein gewesen, um sie mit großem Ernste in der Arithmetik zu unterrichten und mit meinen ewigen Zahlen zu langweilen, ohne ihr ein einziges galantes Wort zu sagen oder einen Blick zuzuwerfen. Fünf oder sechs Jahre später würde ich nicht so sittsam oder so närrisch gewesen sein; aber es war über mich verhängt, daß ich nur einmal in meinem Leben wahre Liebe fühlen und eine andere als sie die ersten und letzten Seufzer meines Herzens empfangen sollte.
Seit ich bei Frau Dupin lebte, war ich mit meinem Loose beständig zufrieden gewesen, ohne einen Wunsch zu verrathen, es verbessert zu sehen. Die Zulage, die sie mir im Verein mit Herrn von Francueil gab, hatten mir beide
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