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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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erblickte, für mein Herz ein Gegenstand der Begehrlichkeit wurde, lediglich weil ich an nichts Antheil hatte. Verschwunden war die Ungezwungenheit, der Frohsinn, die glücklichen Einfälle, die mich ehedem so oft bei meinen Versehen der Strafe hatten entgehen lassen. Ich kann nicht ohne zu lachen daran zurückdenken, wie ich eines Abends bei meinem Vater, als er mich zur Strafe für einen Schelmenstreich ohne Nachtessen zu Bette schickte, mit meinem armseligen Stückchen Brot durch die Küche ging und den sich am Spieße drehenden Braten sah und roch. Alle waren um den Herd versammelt; jedem mußte ich beim Vorbeigehen gute Nacht wünschen. Als ich die Runde vollendet hatte und dem Braten, der so prächtig aussah und so köstlich roch, einen verstohlenen Blick zuwarf, konnte ich mich nicht erwehren, mich vor ihm ebenfalls ehrfurchtsvoll zu verbeugen und mit kläglichem Tone zu ihm zu sagen: »Gute Nacht, Braten!« Dieser naive Einfall machte einen so komischen Eindruck, daß man mich zum Abendessen dableiben ließ. Vielleicht hätte er bei meinem Meister eben so viel Glück gehabt, aber sicherlich wäre er mir bei ihm nicht gekommen oder ich hätte ihn nicht auszusprechen gewagt.
    So lernte ich im Geheimen Gelüste haben, meine wahre Gesinnung verhehlen, mich verstellen, lügen und endlich stehlen; ein Gelüst, von dem ich bis dahin nie eine Anwandelung gehabt hatte und von dem ich mich seitdem nicht wieder habe ganz frei machen können. Das Begehren und die Ohnmacht führen stets dazu. Deshalb sind alle Diener Diebe und müssen alle Lehrburschen es sein. Sobald sie aber heranwachsen und in die nämliche und gleiche Lage kommen, in der ihnen alles, was sie sehen, erreichbar ist, verlieren letztere diesen schändlichen Hang. Da ich nicht dasselbe Glück gehabt, habe ich auch nicht denselben Vortheil daraus ziehen können.
    Fast immer sind es gute, aber übel geleitete Gesinnungen, welche die Kinder den ersten Schritt zum Bösen thun lassen. Trotz unaufhörlicher Entbehrungen und Versuchungen hatte ich bei meinem Meister schon länger als ein Jahr verweilt, ohne mich entschließen zu können, etwas zu nehmen, nicht einmal Eßwaaren. Der Antrieb zu meinem ersten Diebstahle war Gefälligkeit, aber eröffnete anderen das Thor, die keinen so lobenswerthen Zweck hatten.
    Mein Meister hatte einen Gehilfen, Namens Verrat, zu dessen in der Nachbarschaft liegendem Hause ein ziemlich entlegener Garten gehörte, der sehr schönen Spargel lieferte. Dieser Umstand rief bei Verrat, dem es ewig an Geld fehlte, Lust hervor, seiner Mutter gleich beim ersten Stechen Spargel zu stehlen und zu verkaufen, um für das Geld einige gute Frühstücke herzurichten. Da er sich nicht selbst der Gefahr aussetzen wollte und auch nicht die nöthige Gewandtheit besaß, fiel seine Wahl zur Ausführung seines Planes auf mich. Nach einigen vorhergehenden Schmeicheleien, die mich um so mehr gewannen, da ich ihren Zweck nicht erkannte, schlug er es mir vor, als ob es ihm eben erst eingefallen wäre. Ich erhob lebhaften Widerspruch; er hörte nicht auf, in mich zu dringen. Ich habe Liebkosungen nie widerstehen können; ich ergab mich. Alle Morgen stach ich den schönsten Spargel und brachte ihn auf den Molard, wo irgend eine brave Frau, die es mir ansah, daß ich ihn gestohlen hatte, mir es auf den Kopf zusagte, um ihn billiger zu bekommen. In meiner Angst nahm ich jeden Preis, den sie mir bot, an und brachte Verrat das Geld. Alsbald verwandelte es sich in ein Frühstück, das ich herbeischaffen mußte und das er mit einem andern Gehilfen theilte, denn ich für meine Person hatte an einigen Resten völlig genug und rührte ihren Wein nicht einmal an.
    So ging es einige Tage fort, ohne daß ich nur auf den Einfall kam, den Dieb zu bestehlen, und von Verrat den Zehnten von dem Ertrage seines Spargels einzuziehen. Ich führte meine Spitzbüberei mit der größten Redlichkeit aus; mein einziger Beweggrund war, dem Anleiter zu meinem Vergehen eine Gefälligkeit zu erweisen. Wäre ich jedoch ertappt worden, welche Schläge, welche Schmähungen, welche grausame Behandlung hätte ich zu erdulden gehabt, während der Elende mich Lügen gestraft und Glauben gefunden hätte, ich aber für die Dreistigkeit, ihn zu beschuldigen, doppelt so hart gezüchtigt worden wäre, da er Gehilfe und ich nur Lehrbursche war! Auf diese Weise rettet sich in jedem Stande der schuldige Starke auf Kosten des unschuldigen Schwachen.
    So lernte ich, daß Stehlen nicht so entsetzlich

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