Rousseau's Bekenntnisse
Thüre desselben unmerkbar zu öffnen und wieder zu verschließen. Dort brandschatzte ich seine guten Werkzeuge, seine besten Zeichnungen, seine Stempel, kurz alles, woran ich Gefallen fand und was er stets bestrebt war, mir nicht zugänglich zu machen. Im Grunde waren diese Diebstähle sehr unschuldig, da sie ja nur gemacht wurden, um ihm in seinem eigenen Dienste wieder zu Gute zu kommen; aber ich schwelgte in Wonne, diese Kleinigkeiten in meiner Gewalt zu haben; ich glaubte ihm mit seinen Werken auch sein Talent zu stehlen. Uebrigens fanden sich daselbst in Kästchen Stückchen Gold und Silber vor, kleine Schmucksachen, Werthstücke, Münzen. Hatte ich vier oder fünf Sous in der Tasche, so war es viel: und trotzdem habe ich nie etwas davon berührt, ja ich erinnere mich nicht einmal, je in meinem Leben einen begehrlichen Blick darauf geworfen zu haben; ich sah es eher mit Bangen als mit Lust. Ich bin überzeugt, daß ich diesen Abscheu vor einem Diebstahl an Geld und Geldeswerth großenteils meiner Erziehung verdankte. Es verknüpften sich damit geheime Vorstellungen von Schande, Gefängnis, Züchtigung und Galgen, die mich mit Schauder erfüllt hätten, wäre die Versuchung an mich herangetreten; während ich in meinen Streichen nur Schelmenstücke erblickte, was sie in der That auch nur waren. Dies alles konnte mir höchstens eine tüchtige Tracht Prügel von Seiten meines Meisters eintragen, und darauf war ich im voraus vorbereitet.
Aber noch einmal, ich hatte gar kein so großes Gelüst, um mich erst überwinden zu müssen; es gab in mir nichts zu bekämpfen. Ein einziges Blatt schönes Zeichenpapier war für mich verlockender als das Geld, um ein Ries davon zu laufen. Diese Wunderlichkeit beruht auf einer der Eigentümlichkeiten meines Charakters; sie hat so großen Einfluß auf meine Lebensweise gehabt, daß sie einer Erklärung bedarf.
Ich habe sehr heftige Leidenschaften, und während sie mich bewegen, kommt nichts meinem Ungestüm gleich: ich kenne keine Schonung, keine Rücksicht, keine Furcht, keinen Anstand mehr; ich bin schamlos, frech, gewaltthätig, unzähmbar; keine Scham hält mich auf, keine Gefahr schreckt mich zurück; außer dem Gegenstande, der mich allein beschäftigt, ist das Weltall nicht mehr für mich da. Aber das alles währt nur einen Augenblick, und schon der nächste schleudert mich in die Vernichtung. Betrachtet mich in der Ruhe, da bin ich die Gleichgiltigkeit und Schüchternheit selbst; alles macht mich kopfscheu, alles muthlos; eine Fliege, die vorübersummt, erfüllt mich mit Angst; ein Wort, das ich sprechen, eine Bewegung, die ich machen soll, erregt meiner Trägheit Schauder; Furcht und Verschämtheit knechten mich dermaßen, daß ich mich den Augen aller Sterblichen entziehen möchte. Wenn es handeln gilt, weiß ich nicht, was thun; wenn es reden gilt, weiß ich nicht, was sagen; wenn man mich anblickt, verliere ich die Fassung. Wenn ich in Leidenschaft gerathe, stehen mir die Worte bisweilen zu Gebote; aber in gewöhnlichen Unterhaltungen finde ich keine, auch gar keine Ausdrücke; schon allein um deswillen, weil ich zu reden genöthigt bin, sind sie mir unerträglich.
Dazu kommt, daß keine meiner herrschenden Neigungen auf käufliche Dinge gerichtet ist. Es ist mir nur um reine Freuden zu thun, und das Geld vergiftet sie alle. Ich liebe zum Beispiel die der Tafel; da ich aber weder den Zwang der guten Gesellschaft noch die Schmausbrüder der Wirthshäuser auszustehen vermag, so kann ich sie nur mit einem Freunde genießen; denn allein, das ist mir nicht möglich; dann beschäftigt sich meine Einbildungskraft mit anderen Dingen, und das Essen gewährt mir keinen Genuß. Wenn mein erhitztes Blut nach Frauen Verlangen trägt, hat mein erregtes Herz noch größeres Verlangen nach Liebe. Käufliche Weiber würden für mich allen Reiz verlieren; ich zweifle sogar, ob ich es über mich gewinnen könnte, sie zu gebrauchen. So ist es mit allen Genüssen, die mir erreichbar sind; bieten sie sich mir nicht umsonst dar, finde ich sie fade. Ich liebe die Güter allein, die nur dem Ersten, der sie zu genießen versteht, zu Theil werden.
Das Geld hielt ich nie für so werthvoll, wie man es ausgiebt. Noch mehr, ich habe es sogar nie für zweckmäßig gehalten: an sich selbst ist es zu nichts gut; um Genuß davon zu haben, muß man es verwandeln; man muß kaufen, handeln, oftmals sich betrügen lassen, tüchtig zahlen, um schlecht bedient zu werden. Ich wünsche eine in jeder
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