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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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welcher ich rede, hatte ich, während ich Fräulein von Vulson so öffentlich und so tyrannisch in Beschlag nahm, daß ich die Annäherung keines Mannes an sie duldete, zwar ziemlich kurze, aber ziemlich vertrauliche Zusammenkünfte mit einem kleinen Fräulein Goton, bei welchen sie die Gewogenheit hatte, die Schulmeisterin zu spielen, und dies war alles. Aber dies alles, das in Wahrheit für mich alles war, erschien mir als das höchste Glück, und schon den Werth des Geheimnisses fühlend, obgleich ich es nur wie ein Kind zu gebrauchen verstand, vergalt ich dem ahnungslosen Fräulein von Vulson das Bestreben, mich zum Deckmantel ihrer anderen Liebschaften zu machen, in gleicher Weise. Allein zu meinem großen Kummer wurde mein Geheimnis entdeckt oder von Seiten meiner kleinen Schulmeisterin weniger gut als von der meinigen bewahrt, denn man zögerte nicht, uns zu trennen. [Fußnote: Var ... uns zu trennen, und einige Zeit darauf hörte ich bei meiner Durchreise durch Coutance auf dem Rückwege nach Genf kleine Mädchen mir halblaut nachrufen: Goton tictac Rousseau.]
    Es war in der That eine sonderbare Person, dieses kleine Fräulein Goton. Ohne schön zu sein, hatte sie ein Gesicht, das man kaum wieder zu vergessen im Stande war und an das ich noch immer denke, oft viel zu sehr für einen alten Narren. Namentlich ihre Augen standen nicht mit ihrem Alter im Einklang, und eben so wenig ihr Wuchs und ihre Haltung. Sie konnte eine sehr Achtung gebietende und stolze Miene annehmen, wie ihre Rolle es verlangte, und das hatte eben den ersten Gedanken daran unter uns hervorgerufen. Aber das Eigenthümlichste an ihr war eine schwer zu begreifende Mischung von Keckheit und Zurückhaltung. Sie erlaubte sich mir gegenüber die größten Freiheiten, ohne mir je eine gegen sich zu gestatten; sie behandelte mich genau wie ein Kind. Das bringt mich zu dem Glauben, daß sie entweder schon aufgehört hatte, eines zu sein, oder daß sie es im Gegentheile noch selber genug war, um in der Gefahr, welcher sie sich aussetzte, nur ein Spiel zu sehen.
    Jeder dieser beiden Personen gehörte ich gleichsam ganz und so vollkommen an, daß ich bei der einen nie an die andere dachte. Uebrigens hatten die Gefühle, mit denen sie mich erfüllten, keine Aehnlichkeit mit einander. Ich würde mein ganzes Leben an Fräulein von Vulsons Seite zugebracht haben, ohne je an eine Trennung von ihr zu denken; aber wenn ich zu ihr kam, war meine Freude ruhig und blieb stets von aller Erregung frei. Ich liebte sie besonders in großer Gesellschaft; die Scherze, die Neckereien, die Eifersüchteleien sogar hatten etwas Anziehendes, etwas Fesselndes für mich. Stolzer Triumph beseelte mich, wenn sie mich vor erwachsenen Nebenbuhlern, die sie zu quälen schien, bevorzugte. Ich empfand wohl Qualen, aber sie waren mir lieb. Die Beifallserweisungen, die Ermuthigungen, das Gelächter entflammten mich und feuerten mich an. Ich wurde erregt, ich wurde witzig; in einer Gesellschaft kannte meine Liebe keine Schranken; mit ihr allein würde ich gezwungen, kalt, vielleicht gelangweilt gewesen sein. Gleichwohl hatte ich eine zärtliche Zuneigung zu ihr, ich litt, wenn sie krank war, ich würde meine Gesundheit dahingegeben haben, um die ihrige wiederherzustellen, und das will viel sagen, wenn man bedenkt, daß ich aus Erfahrung sehr wohl wußte, was Krankheit, und was Gesundheit zu bedeuten hat. Fern von ihr, dachte ich an sie, sie fehlte mir; war ich bei ihr, thaten ihre Liebkosungen meinem Herzen wohl, erregten aber nicht meine Sinnlichkeit. Ich war ohne Nachtheil vertraulich mit ihr. Meine Einbildungskraft ging über das, was sie mir gewährte, nicht hinaus; allein ich hätte nicht ertragen können, sie anderen eben so viel erweisen zu sehen. Ich liebte sie wie ein Bruder, war aber eifersüchtig auf sie wie ein Liebhaber.
    Auf Fräulein Goton würde ich es ebenfalls gewesen sein und zwar wie ein Türke, wie ein Rasender, wie ein Tiger, wenn ich mir nur hätte vorstellen können, sie wäre im Stande einem Andern die gleiche Behandlung angedeihen zu lassen, die sie mir gewährte; denn selbst dies war eine Gnade, die man auf den Knien erbitten mußte. Dem Fräulein von Vulson näherte ich mich mit aufrichtiger Freude, aber ohne Verlegenheit, während ich, sobald ich Fräulein Goton nur erblickte, nichts mehr sah; alle meine Sinne waren verwirrt. Zu der ersten war ich zutraulich ohne Vertraulichkeit; der anderen gegenüber war ich dagegen selbst inmitten der größten

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