Ruchlos
mit Gel fixiert. Er stand auf und bemühte sich, den Blick durch seine schwarze, rechteckige Brille nicht allzu frustriert wirken zu lassen, während er mir die Hand entgegenstreckte:
»Jonas Michaelis.«
Er benutzte ein herbes Eau de Toilette. Obwohl der Duft dezent war, löste er bei mir Übelkeit aus.
»Kirsten Bertram. Ich bin sozusagen die Übergangschefin.«
Ich ging mit ihm in Andreas’ Büro, registrierte, wie er die Einrichtung mit dem wuchtigen Holzimitat-Schreibtisch und den wackeligen Bücherregalen beäugte.
»Sie sind jetzt also hier ins Lokale verdonnert worden?« Ich ließ es wie eine Aussage klingen und deutete auf den Besucherstuhl vor dem Tisch, hinter dem ich mich niederließ.
»Nun ja, verdonnert …« Jonas Michaelis setzte sich lässig und lächelte gewinnend.
Mein Postfach zeigte 15 neue Mails an.
»Ich nehme doch an, eigentlich machen Sie Ihr Praktikum im Politik- oder Wirtschafts-Ressort.«
»So ähnlich. Ich schreibe meine Master-Thesis über den Umbau der konventionellen Mantelredaktionen zu Newsrooms. Deshalb begleite ich diesen Prozess hier. Herr Müller hat mir versichert, dass ich auch an den Tagen, an denen ich Sie unterstütze, oben auf dem Laufenden bleibe.«
Das Telefon klingelte. Ich entschuldigte mich und hob ab. Es war Andreas. Er hörte sich fürchterlich an.
»Andy, fünf Minuten, dann rufe ich zurück, ja?« Ich legte auf und wandte mich wieder Jonas Michaelis zu. »Das lässt sich bestimmt einrichten. Haben Sie denn schon mal k onventionelle Redaktionsarbeit‹ geleistet?«
In seinem ersten Semester habe er für ein Lifestyle-Magazin gearbeitet, sich dann allerdings eher auf die theoretische Seite des Journalismus verlegt. Kurz dachte ich, dass er Glück hatte, dass ich hier saß und nicht Andreas, der ihn wahrscheinlich mit einem Rechercheauftrag zur städtischen Mülldeponie geschickt hätte, damit er den praktischen Journalismus wirklich kennenlernte.
»Sehen Sie, ich habe das Problem, dass wir mit extrem knapper Besetzung sechs Zeitungsseiten füllen müssen. Ich schlage vor, Sie nutzen Ihre Erfahrungen mit den bunten Blättern«, bei dem Ausdruck verzog er das sauber rasierte Gesicht, »und machen mir eine schöne Geschichte über den strahlenden Herbstbeginn in Dresden. Spazieren Sie über die Elbwiesen, sprechen Sie die jungen Leute an, die dort den Tag genießen, und scheiben Sie 100 Zeilen dazu. Die Fotos liefert ein Fotograf.« Ich würde ein Bild über die halbe Seite ziehen und seinen Text darunter stellen. Zwei weitere Fotos, ein paar Meldungen, und die Vier war fertig …
Herr Michaelis schien kurz zu überlegen, ob er noch etwas sagen sollte, dann nickte er jedoch nur kurz zum Abschied und ging. Ich fand, ich hatte ihm einen Sechser im Lotto beschert, an solch einem herrlichen Tag dienstlich herumspazieren zu können.
Andreas ging es noch immer miserabel. Er hatte nichts bei sich behalten, noch nicht einmal die Kochsalz-Zucker-Lösung, die der Arzt gegen Austrocknung empfohlen hatte.
»Das schmeckt schon so ekelhaft, dass mir gleich wieder schlecht wird.«
»Lieber ein kaltes Bier, was?«
»Hör bloß auf. Wie läuft es bei dir? Ich wollte dir doch noch etwas zu dem DREWAG-Termin sagen.«
»Zu spät. Mach dir keine Sorgen, ich hab alles im Griff.«
Ich versprach ihm, so bald wie möglich wieder anzurufen, begann dann, während wir uns verabschiedeten, bereits mit dem Layout der ersten Seiten. Kurz darauf musste ich schon wieder aufbrechen. Im Uniklinikum sollte eine neue Lasertechnologie vorgestellt werden, deren Kosten – so viel hatte ich zum Glück schon am Vortag recherchiert – in keinem Verhältnis zum nachgewiesenen Nutzen standen. Bevor ich ging, warf ich einen Blick in das Großraumbüro, in dem Christina, eine nette Kollegin in meinem Alter, wie wild auf ihre Tastatur einhackte. Ich weihte sie in die Situation mit unserer Aushilfe ein und sie versprach, ein Auge auf den jungen Mann zu haben, wenn er von seinem Bummel zurückkehrte.
»Keine Angst, wir kriegen schon eine Zeitung zusammen.« Aufmunternd lächelte sie mich an.
»Ist ja noch jeden Tag eine erschienen, nicht wahr?« Ich legte den Fotografen einen Zettel mit meinen neuen Wünschen hin und stürmte aus der Redaktion.
*
»Der Woba-Termin ist geplatzt«, beklagte sich Mario, kaum, dass ich am Nachmittag wieder zur Tür hereingekommen war. »Was soll ich jetzt machen?«
Ich hatte in der Uniklinik keine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage nach der Effektivität
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