Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Baum
Vom Netzwerk:
weiß ich natürlich alles nur aus Erzählungen, aber auch später noch hat er immer gesagt: Das Private ist auch politisch, also kümmern wir uns umeinander. Das war dann gewissermaßen sein Weg.«
    Frau Kattner stand vom Tisch auf und holte eine Packung Butterwaffeln aus dem Schrank. Längst hatte sie mir ein Brettchen und ein Messer gereicht, mich eingeladen, mit ihr zu frühstücken – was ich mir nicht zweimal sagen ließ, da ich ohne etwas zu essen aufgebrochen war und mittlerweile einen brennenden Hunger verspürte.
    »Wenn ich mit etwas nicht klarkomme, esse ich.« Sie zog den Gürtel ihres Morgenmantels fester um ihre kräftige Taille. » Wie man sieht. Leider hat Leon die gleiche schlechte Angewohnheit. Ich würde uns beide ja gern gesund ernähren, aber irgendwie schaffe ich das nicht.« Sie öffnete die Packung.
    »Mein Opi hat mir deswegen oft Vorwürfe gemacht. Bei ihm hat Leon nie Süßigkeiten gekriegt. Trotzdem war er immer gern dort.« Wieder begann sie zu schluchzen. »Er hat sich wirklich um uns alle gekümmert. Wir sind eine große Familie.«
    Bei der Aufzählung der verschiedenen Familienstränge verlor ich irgendwann den Faden und hing meinen Gedanken nach, während ich eine der süßen, fettigen Waffeln aß. Ich bekam jedoch mit, dass ein Großteil der Verwandten ebenfalls in der Friedrichstadt lebte.
    »Es muss schön sein, immer jemanden zu haben, zu dem man gehen kann«, sagte ich halbherzig. Mit meiner Familie kam ich am besten aus, seitdem ich über 500 Kilometer von ihr entfernt lebte.
    »Ja, das ist es«, sagte Michaela Kattner mit einem Seufzer.
    *
    In der Notaufnahme des Hyazinthus-Krankenhauses gegenüber war der Teufel los. Schwestern und Ärzte rannten durcheinander, Patienten waren indessen nicht zu sehen.
    »Gehören Sie zu dem Autounfall?«
    Ich zuckte zusammen, als ich realisierte, dass die Frage mir galt. »Nein, ich suche Frau Doktor Silbermann.«
    »Die ist noch im OP.«
    Es war kurz vor neun. Die Ärztin arbeitete also seit über zwölf Stunden und operierte in diesem Moment einen Patienten. Vielleicht sollten wir mal eine Reportage über die Arbeitsbedingungen der Klinikärzte bringen. Wenn ich an mein eigenes Tagespensum dachte, das mich in der Redaktion erwartete, erfasste mich eine bleierne Müdigkeit.
    »So, das war’s. Keine Komplikationen. Er hängt noch am Schmerztropf, den könnt ihr gegen Mittag abnehmen.«
    Ich erkannte die Stimme. Im grünen OP-Kittel stand Frau Dr. Silbermann an der Anmeldung neben einer Schwester, über irgendwelche Unterlagen gebeugt. Als sie sich aufrichtete, presste sie den linken Unterarm in ihren Rücken und stöhnte leise auf. Ihr Blick streifte mein Gesicht, ohne dass sie mich erkannte.
    »Ich bin weg. Wer auch immer nach mir fragt, bis ich es auf den Parkplatz geschafft habe: Ich bin weg.«
    Ihrer Stimme fehlte die Entschlossenheit der Worte, deshalb sprach ich sie trotzdem an, als sie sich umdrehte und auf eine Tür mit der Aufschrift ›Zutritt verboten‹ zuhielt. Verärgert musterte sie mich.
    »Ich habe Feierabend. Warten Sie bitte, bis ein Kollege für Sie Zeit hat.« Sie ging weiter.
    »Nur ganz kurz, Frau Doktor. Wir haben uns gestern Abend bei dem alten Mann getroffen, der tot in seinem Bett lag.«
    Nun erkannte sie mich wieder, das sah ich ihr an. Zu einem Gespräch war sie dennoch nicht bereit. »Ja«, war alles, was sie sagte, die Hand bereits auf der Türklinke.
    »Ich habe mich gefragt, warum Sie so sicher waren, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist.«
    Zweifel an ihrer Kompetenz waren der falsche Weg. »Weil es mein Job ist, so etwas zu erkennen. Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe, ich muss mich noch umziehen, damit ich endlich nach Hause komme!«
    »Sein Blick«, hakte ich schnell nach. »Sein Blick war so – panisch.«
    »Kindchen«, sagte die Frau, »der Tod ist kein Kaffeeklatsch. Da guckt mancher panisch.«
    Mit einer ungeduldigen Bewegung öffnete sie die Tür und verschwand.
    In der Konferenz fragte ich, wer sich an Heinz Wachowiak erinnere. Hans verzog nachdenklich das Gesicht, Christina hob die Schultern. Als ich ihn beschrieb, reagierten jedoch fast alle.
    »Sag doch gleich, dass du den alten Querulanten meinst«, sagte Mario grinsend.
    »Sein Tipp mit der überdimensionierten Kläranlage hat uns eine große Geschichte beschert – und die Stadt musste sie hinterher kleiner projektieren«, entgegnete Hans.
    »Aber auf einen Treffer kamen drei Fata Morganas«, brummte Mario.
    »Heinz Wachowiak

Weitere Kostenlose Bücher