Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Film? Ein B-Movie? Die Invasion der Körperfresser? Ich hatte nur noch einen Gedanken im Kopf: Broiler! Meine neuen Nachbarn sind Broiler!
2. Schöntachnoch
Der Zuzug von Broilern kann meine Vorfreude nicht dauerhaft trüben. Ich habe Geburtstag. Von jeher lasse ich nichts unversucht, das vor anderen zu verbergen – ein fortlebender Ehrenkodex aus meiner Jugendzeit. Es geht weniger um das Älterwerden (noch bin ich ein Thirty-Something), es geht ums Prinzip. Weder habe ich einen Anteil an der Tatsache, geboren worden zu sein, noch fühle ich mich zu irgendeiner Form von Geselligkeit verpflichtet. Ich verbitte mir Gratulationen, Geschenke, Händedrücken und Umarmungen – jegliche Form von demonstrativer Zuneigung. Was nicht bedeutet, dass ich meinen Geburtstag nicht feiere.
Nur eben im engsten Kreise. Schön, dass ich da bin, sage ich mittags nach dem Aufstehen und begrüße auf diese Weise traditionell meinen einzigen Geburtstagsgast: mich. Und dann singe ich »Happy Birthday to Me«. Ich habe allen Grund zur Egozentrik, denn ich kenne niemanden, der meine Aufmerksamkeit mehr verdient hätte als ich. Ich bin die Königin meines Schlosses, die Herrscherin meines Kontinents.
Diesmal wird die Torte vom Kranzler geliefert. Ich trage sie vorsichtig ins Zimmer und stelle sie auf den Tisch neben drei Dutzend blassgelbe Rosen, die ich gestern Nacht einem verfrorenen Tamilen abhandeln konnte. Ein Postbote bringt mir das klingende Telegramm, das ich vorhin telefonisch an mich aufgegeben habe. Ich packe das neue Parfüm von Vivian Westwood aus, das man mir vor einigen Tagen bei Douglas als Geschenk verpackt hat. Dann reiße ich wie ein hungriger Tiger mein seidenes Geschenkpapier auf, bin überrascht, hoch erfreut, verlegen, die ganze Skala.
Jahrelang habe ich nach diesem Rot gesucht, viele Morgenmäntel in die engere Wahl gezogen, aber nie den einen gefunden, der dem aufs Haar ähnelt, den Angie Dickinson in
Rio Bravo
trägt, als sie John Wayne rumkriegt. Erst in der vergangenen Woche entdeckte ich in der Stoffabteilung des KaDeWe einen samtweichen, leicht changierenden Samtfrottee von genau jenem Rot. Blutrot wäre zutreffend. Herzblutrot, wenn es nicht so widerlich kitschig klänge.
Den Morgenmantel habe ich sofort bei meinem Schneider Wong in Auftrag gegeben. Wong ist ein Meister seines Fachs, aber auch ein Penibelchen. Er zickt wie ein menstruierendes Weib, wenn seine künstlerische Vorstellung mit meiner kollidiert. Was praktisch jedes Mal der Fall ist. So musste ich mir den Morgenmantel mit seinem Schalkragen und den runden Schultern mit Hilfe von Videoprints aus dem Film Stück für Stück hart erkämpfen. In der Knopffrage war Wongs freundliches flaches Pfannkuchengesicht (»Knopfe mussen sein! Lund und gloss«) den Tränen nahe. Schließlich war der Mantel doch noch rechtzeitig fertig geworden. Ohne Knöpfe, nur mit Bindegürtel, genau wie im Film. Und wenn ich mal sterbe, ganz egal wie, würde ich gern diesen roten Morgenmantel tragen. Aus rein ästhetischen Gründen.
Anziehen kann ich ihn noch nicht, denn heute ist Sonntag. Sonntags gehe ich immer zum Zeitungsladen am Bahnhof Zoo:
all you can read
. Dort arbeiten zwei so nette Jungs aus Ghana, die stört das nicht, wenn ich da stehe und lese und mir Schlagzeilen abschreibe (MANN SCHNITT BEI KARSTADT DIE HODEN AB, RHESUSAFFE ÜBERFIEL FRAU – FESTGENOMMEN). Die Ghanesen oder Ghanaer sprechen besser Pidgin-Englisch alsDeutsch. Wenn also einer reinkommt und fragt: Wie geht’s?, dann lächeln sie und rufen unisono »Mussja!«. Das finde ich großartig. Die sind praktisch Freiwild für jeden, der ihnen ein bisschen Deutsch beibringt. Und sie denken, es gehört sich, dass man »Mussja« sagt. Ich habe das mal gezählt, und als ich zwei Stunden im Laden gewesen war, hatten sie beide insgesamt 47-mal »Mussja« gesagt. Hätten sie die 50 vollgekriegt, dann hätte ich ihnen zur Belohnung das SpiegelExtra-Heft »Moloch Großstadt« abgekauft.
Heute ist ihr Wortschatz um eine Vokabel gewachsen, die ziemlich weit oben auf meiner Hassliste steht: »Schöntachnoch.« Ausländer soll man nicht beschimpfen und schon gar nicht solche netten. Aber der nächste, der zu mir »Schöntachnoch« sagt, Neger oder nicht, kriegt was auf die Mütze! Ich weiß nicht, wann wer diese widerliche Parole ausgegeben hat, aber jeder Wursttheken-Fritze, jede bräsige Kassiererin, jeder Obdachlosenzeitungs-Verkäufer ruft zum Abschied launig »Schöntachnoch«, und es klingt ein bisschen
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