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Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Titel: Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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1. Invasion der Körperfresser
    Ich bin eine stinknormale Großstädterin. Ich wohne in einem dieser anonymen Apartmenthäuser in Daimler-City. Man kann dort vollkommen ungestört leben. Niemand nimmt Notiz, keiner regt sich auf, lauter Autisten, Wand an Wand. Meine Nachbarn kennen mich nicht. Ich kenne meine Nachbarn nicht. Wir wollen uns auch ums Verrecken nicht kennenlernen. Ein ungeschriebenes Gesetz, sich untereinander weder ein Ei noch Mehl zu borgen. Wenn es hinter den naturnahen Terracottafassaden unseres Apartmentkomplexes an der Wohnungstür klingelt, ist es mit Sicherheit kein Nachbar, sondern ein Briefbote, ein Vertreter oder der Hausmeister. Schlimm genug, dass man sich ab und zu im Lift begegnet. In stiller Übereinkunft grüßt man dann nur knapp, ohne direkten Augenkontakt – oder überhaupt nicht. Ja kein Gespräch! Bloß keine Namen!
    Deswegen muss ich ein überaus erstauntes Gesicht gemacht haben, als es am vergangenen Montag klingelte, mittags, eben als ich aus der Wanne stieg. Ich lief zur Tür, Turban um den Kopf, Frottiertuch um den Rest, und öffnete einen Spaltbreit.
    Zwei Hände streckten sich mir entgegen. »Gudn Dog«, sagte ein Mann im schönsten Broiler-Deutsch. »Mior sinn Maik mit ›ai‹ …« Und eine Frau piepste: »… unn Mändy!« Dann beide zweistimmig: »Die Neuen!« Unsinniges Kichern. »… gomm jetzt öftors …«
    Wie erstarrt stand ich im Türrahmen. Ein Traum? Ein Höllenspuk meines nervösen Gehirns? Aus meinem Turban hatte sich eine Haarsträhne gelöst und tropfte zielgenauin Maiks und Mändys Sprechpausen: Plop. Ärscht. Plop. Gestorn. Plop. Eingezogen.
    Es gibt viele Möglichkeiten, einem Händedruck auszuweichen. Das Wie hängt davon ab, mit welcher Vehemenz sich der Grüßwillige nähert. Streckt er die Hand schon von weitem aus? Textet er sein Vorhaben hörbar Dritten gegenüber an (Ich muss mal rasch XY die Hand schütteln)? Ist er gar stadtweit als notorischer Händeschüttler bekannt?
    Als unhöflich gilt, die Arme trotzig vor der Brust zu verschränken. Verbreitet ist die Schutzvariante »Ich habe nasse/schmutzige Hände.« Leider nutzt der haptisch veranlagte Grüßer diese Warnung oft dafür, sein Nichtvorhandensein von Ekel unter Beweis zu stellen. Er schüttelt trotzdem und ruft gönnerhaft: Aber das macht doch nichts!
    Etwas wirkungsvoller ist die Begrüßungsformel »Bin total erkältet«, begleitet von einem raschen Wegziehen oder Auf-den-Rücken-Legen der potentiellen Grüßhand. Nur besonders aufdringliche Zeitgenossen zeigen, wie furchtlos sie selbst Bazillen und Viren gegenüberstehen, und schütteln trotzdem – oder erst recht.
    Angetäuschtes Winken sowie ein hingeworfenes »Nachher!« und »Ich muss erst noch schnell …« schieben die leidige Angelegenheit nur auf. Trifft man den so Vertrösteten wenig später wieder, dann sagt er todsicher mit demonstrativ hingestreckter Hand: Jetzt erst mal richtig Guten Tag!
    Ein reiner Akt der Verzweiflung ist es, sich mit einem endogenen Ekzem, Hepatitis A oder Aids rauszureden. Das hieße, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Außerdem führt es erfahrungsgemäß zu kompletter gesellschaftlicher Isolation, einem zwar reizvollen, aber der Karriere einer Geschäftsfrau eher abträglichen Zustand.
    Räumlichen Schutz bietet es, spontan eine Mauer aufzubauen. So kann man etwa einen sperrigen Gegenstand – Schuhkarton, Papierkorb, Blumentopf – in die Hand nehmen. Leider gibt es immer Hardliner, die einen durch unbeirrtes Hinstrecken des Grüßarms zwingen, besagten Gegenstand wieder abzulegen.
    Ein geschickter Winkelzug ist das als besonders herzlich geltende seitliche Klopfen beider Oberarme des Grüßwilligen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen beugt man dem hochinfektiösen Händedruck vor, zum anderen kann man die Ellenbogen fest durchdrücken, um es nicht zum Äußersten kommen zu lassen, zur Umarmung, dem Supergau für uns Sozialphobiker. Wer hat diesen Satz nicht schon gehört und lebenslang mit in seine Alpträume genommen: Lass dich erst mal richtig knuddeln, du!
    Was Maik und Mändy betraf, so ließ ich in dieser speziellen Situation alle Etikette außer Betracht. Offen gestanden war ich einfach überrumpelt. Also murmelte ich irgendetwas, das alles und nichts heißen konnte: »Es zieht!« oder »Keine Zeit!« oder »Guten Appetit!« oder »Fick dich ins Knie!«, ignorierte ihre immer noch hingestreckten Hände und knallte die Tür ins Schloss.
    War das ein schlechter

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