Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
mußten die turnusmäßigen Reparaturen durchgeführt werden. Dazu brauchte es jeweils |130| zwei Schichtbesatzungen, die reparierten dann von sechs Uhr morgens bis zum Mittag. So kam es, daß jeder im Monat mindestens achtzehn Überstunden hatte und manchmal vierundzwanzig und normalerweise nur einen freien Sonntag, nämlich den nach der Nachtschicht, und wenn er Glück hatte, wurden es manchmal zwei, wenn er aber Pech hatte, steckte er jeden Sonntag im Werk.
    Der Herr Zebaoth meldete sich zuerst. »So«, sagte der Herr Zebaoth. Und wie er aus der Rede des Herrn BGL-Vorsitzenden entnommen habe, sei es also die Schuld der Maschinenarbeiter, wenn der Plan nicht erfüllt werde, und folglich müßten die Maschinenarbeiter mit ihren Überstunden dafür aufkommen. »Ist das so?« fragte der Herr Zebaoth. Der Betriebsleiter lächelte, denn der Herr Zebaoth galt als ein bißchen verdreht, und mit einer Sekte hielt er es auch, und der BGL-Vorsitzende sagte: »Du siehst das falsch, Ott.« Aber von hinten brüllte jemand »ausreden lassen!«, und in der Mitte sagten sie »richtig« und »weiterreden«, und auch weiter vorn wurde gemurmelt, bloß konnte man’s nicht recht verstehen. Da redete der Herr Zebaoth jedenfalls weiter.
    »Alsdann«, sagte er, »es soll sich bloß niemand einbilden, daß gewisse Leute die Hose mit der Beißzange anziehen.« Und fragte nun in den Saal hinein: »Wer ist zuständig, daß genügend Rohstoff da ist? Die im Büro. Wenn keiner da ist, fehlt denen dann was in der Lohntüte? Kein Dreier fehlt ihnen. Auch dem Herrn BGL-Vorsitzenden, dem fehlt nichts. Bloß dem Arbeiter, dem wird’s abgezogen. Und wenn dann der Plan nicht kommt, wer muß die Überstunden machen? Etwa die im Büro? Oder vielleicht der Herr BGL-Vorsitzende? Das weiß man schon, wer die Überstunden machen muß, nämlich: wieder der Arbeiter. Das war früher so, und heute ist es genauso: Der Arbeiter ist immer der Dumme. Bloß früher, da hatten wir halb so viel Büroleute herumsitzen, aber Material war immer da, und die Arbeit hat geklappt. |131| Aber heute, da stehen die sich gegenseitig im Wege ’rum, und wenn du hinkommst, da machen sie dich mit Redensarten besoffen, und ändern tut sich nichts. Da kannst du genausogut gegen die Wand reden!«
    Gemurmelte Zustimmung vorn, lautere in der Mitte, ganz hinten Zwischenrufe.
    Aber auch das war jedesmal dasselbe. Die Versammlung ging drüber hin, sie hatte ihre regulierte Mechanik, da war auch ein Ventil eingebaut, das hieß diesmal Herr Zebaoth und hieß andermal anders, eine gute Erfindung, so ein Ventil verhütet das Schlimmere. Und der Dampf war nun abgelassen, es puffte noch ein bißchen und zischte, es ging weiter. Ruth, als sie das zum erstenmal erlebte, hatte aufgeregt ihren ersten Gehilfen gefragt, Hahner, der neben ihr saß: »Aber er hat doch recht. Das können die doch nicht so hingehen lassen. Dazu müssen sie doch was sagen!« Aber Siggi Hahner hatte bloß gelächelt. Denn, soviel weiß man schließlich, es kommt nicht darauf an, was einer sagt, wichtig ist bloß, wer es sagt. Einer, hinter dem nichts steht, der kann viel reden.
    Es ging also weiter. Meist ging es mit dem Dr. Jungandres weiter, falls nicht einer von den Scharfen dazwischenschoß, der Kollege sieht das nicht richtig, ideologische Unklarheiten, Sprache des Klassenfeindes und so, aber es schoß keiner dazwischen, und überhaupt: die Scharfen waren hier seltener als anderswo. Also, der Dr. Jungandres war an der Reihe. Stand auch schon am Rednerpult, oder nein, der ging ja nicht dorthin, der sprach immer von seinem Platz aus. Und es kam nun die Sache mit den objektiven Schwierigkeiten. Nämlich: an den Kollegen in der Verwaltung lag es nicht. Vielmehr daran, daß etwas, was einfach knapp war, einfach unzureichend vorkam, etwas anderem gegenüberstand, das darauf keine Rücksicht nahm. Wobei zweiteres, wie jeder zugeben wird, nirgends anders herkommen kann als aus ersterem, sich also einrichten müßte auf dessen unzureichendes Vorkommen, oder wenigstens, um nichts Falsches zu sagen, seine |132| unregelmäßige Anlieferung. Sagte der Dr. Jungandres. Wenn er mittlerer Laune war. War er besserer Laune, dann konnte er freilich auch anders. Konnte zum Beispiel sagen: Also, die Zellulose aus Finnland ischt nit aingetroffe, das liescht an der Unzuverlässischkait der Kapitalischte. Und der Holzschtoff aus der Sowschetunion ischt auch nit aingetroffe, das liescht an der Unzuverlässischkait der Deutsche Raichsbahn.

Weitere Kostenlose Bücher