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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Was wa da mache? Da mache wa aine klaine Produkschonspause. Das hole wa schpäter scho wieder auf, wa habe ja de Überschtunde glaich mit aingeplant.
    So krauses Zeug konnte der alte Schwabe von sich geben, wenn er besserer Laune war. Und wenn er besonders guter Laune war, dann konnte er noch ganz anders. Aber so besonders guter Laune war er heute nicht. Heute sagte er nur, daß wieder ein paar Überstunden fällig wären, und wenn jeder zweimal zwölf statt acht Stunden Schicht machen würde, dann könnte man Sonntag durcharbeiten.
    Dann setzte sich der Dr. Jungandres, und es begannen die üblichen Debatten.
    Die gingen immer so, daß jeder sagen konnte, wie sehr ihm diese ganze Wirtschafterei zum Halse heraushänge, und daß er dagegen sei, und daß diejenigen, die den Plan machen, gefälligst auch für Material sorgen sollten, und wenn es nach ihm ginge, und manche Leute am grünen Tisch, die mit dem weichen Sessel unterm Arsch, wo sie dran festgewachsen sind, und das müsse ja mal gesagt werden, und er jedenfalls mache das nicht mehr lange mit, und so weiter. So ging das immer. Und dann wurde abgestimmt. Und da waren dann alle dafür, einstimmig.
    Aber heute ging es anders. Und das überraschte alle sehr.
    Sie hatte sich die Sache lange überlegt, Ruth Fischer, aber daß sie heute sprechen würde, hatte sie vor der Versammlung noch nicht gewußt. Im Gegenteil, sie war eigentlich die ganze Zeit fest überzeugt gewesen, daß sie nicht sprechen würde. Es lag an der Versammlung selbst, wenn sie nun sprach. Dabei |133| wußte sie gar nicht recht, womit sie anfangen sollte – es war bloß dieser Gedanke, der ihr seit Wochen im Kopf herumging und über den sie nie vorher mit jemandem gesprochen hatte; mit wem auch …
    Als sie aufstand, waren die Leute alle mit einemmal weg. Der Saal war riesig und leer, irgendeine besondere Stille war da, und weit weg ein Murren und Füßescharren, sie war genau dazwischen. Vorn der Präsidiumstisch kam näher und entfernte sich, so unscharf alles, sie hörte kaum ihre Stimme. Sie sah nur, wie der Dr. Jungandres sich vorbeugte und ihr zunickte.
    Die gleichen Gesichter immer, die gleichen Reden, immer die gleichen Beschlüsse, und immer Männer, die da redeten, redeten, als ob es nur das wäre. Und die an den Maschinen standen, Männer, die alle Plätze innehatten, Männer, die zur Wismut gingen, wenn’s schwierig wurde, Männer, die dann fehlten an den Maschinen – aber was ist denn das für ein Betrieb, für eine Angelegenheit: eure? Ja, seht euch um in dem Saal, als ob’s das erste Mal wär, als ob’s nie einer gesehen hätte, als ob’s nicht vor der Nase läge Tag für Tag. Frauen, überall Frauen, mehr als die Hälfte, aber keine, die je etwas gesagt hätte, keiner, der sie je gefragt hätte, und keine, die einen der Maschinenplätze innehätte, der besser bezahlten, der fehlenden Plätze, der leeren Plätze, um die es hier geht. Wenn die Männer fehlen an den Maschinen, warum lernt ihr nicht Frauen an? Sie sind da, sie gehen nicht zur Wismut, was sollten sie auch dort. Weil sie nicht wollen – aber ihr habt sie nie gefragt, weil sie nicht können – aber ihr habt es nie versucht, weil es immer so war – aber es muß so nicht bleiben; warum? Was ihr an Mehrarbeit habt, sie haben es auch: im Papiersaal, am Querschneider, im Lager, im Labor, als Fahrstuhlführerin, überall, wo sie sind. Oder ist es nur, weil ihr nie daran gedacht habt? Weil ihr geglaubt habt, sie schaffen es nicht, sie wollen es nicht, man kann es ihnen nicht zumuten? Oder ist es vielleicht nur, weil ihr unter euch bleiben wollt? |134| Einen Grund, irgendeinen, wenn ihr ihn nennen wollt, denn das ist eine Frage – mehr nicht, aber ein Grund muß es schon sein, der sich mit Händen greifen läßt, der nicht zwischen den Fingern verrinnt – warum?
    So – oder fast so: sie wußte es später nicht. Sie konnte es nur ermessen an dem Lärm, der nun losbrach.
    Er kam auf sie zu und brach über sie herein und drückte sie auf den Stuhl nieder, ganz klein, da vermochte sie nicht mehr zu unterscheiden, aber es waren nicht nur Männerstimmen, die durcheinanderstritten, es waren alle. Ganz nah nur, um sie herum, war es still, aber sie sah auch neben sich keinen; sah nur plötzlich, daß sie ihr Taschentuch in der Faust preßte, sie hatte es wohl die ganze Zeit in der Hand gehabt. Einzelne Stimmen prallten heran, dasmüßtemeinesein, kamen von weit her und männlich, derfehltbloßeinkerlinsbett, kamen weiblich und

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