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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Punkt aus.
    Und Ruth würde warten. Er hatte sie gestern angerufen, hatte sie freilich nicht selber sprechen können, es gab kein Telefon in ihrer Maschinenhalle. Aber man hatte es ihr ausrichten lassen. Sicher hatte sie nun schon die Pellkartoffeln auf dem Herd, die aß er gern, das wußte sie. Hat’s Erdäppel un Brot, solang hat’s a kaa Not. Was das Mädel halt so wußte von ihm. Und das war nicht so besonders viel. Aber wie, wenn er nie da war? Und das, solang sie denken kann …
    |123| Aber immer noch die Papierfabrik. Hallen, Holzplätze, Transportanlagen, Kesselhäuser. Gott ja, ein ganz ordentlicher Betrieb. Mit eigenem Kraftwerk und eigenen Bahnanschlüssen, dicht an der Straße. Und wenn die Waggons offen standen, konnte man auf den Papierrollen die Exportzettel lesen: Holland, Belgien, Ungarn, Rumänien, Indien. Da gingen sie hin.
    Aber wie, wenn er nie da war?
    Es war ein Leben im Trab gewesen, immer auf ein Ziel hin, das rückte weiter. Und das Fortmüssen war immer hinter ihm her.
    Schon als Kind. Da hatte er fortgemußt, Achtzehn das erste Mal, im letzten Kriegsjahr war der Vater gefallen, und Mutter hatte die Wohnung nicht halten können allein, Hermann war damals fünfzehn. So waren sie aufs Land gezogen, zu den Großeltern, bis zweiundzwanzig. Dann hatten sie auch da wieder fortgemußt. Wegen der Schande diesmal, denn Mutter bekam wieder ein Kind, und keinen Mann dazu und eine Frau von vierzig, ich bitt’ euch, was sollen denn die Leute sagen … Der Großvater war weiß Gott nicht so, sagte er, aber das war ihm zu viel. So zogen sie nach Zwickau, die Mutter hielt sich mit Heimarbeit über Wasser und Hermann, da er nichts gelernt hatte außer dem bißchen Landwirtschaft, mit Gelegenheitsarbeiten. Aber es war alles so eng, alles so erdrückend, da ging er auf die Walz. Er kam nach Leipzig und nach Halle, nach Magdeburg und Hannover, überall war Inflation. Er ging ins Ruhrgebiet, da waren die Franzosen und schon gar keine Arbeit; er ging nach Frankfurt, Hanau, Würzburg, Bamberg, und über Hof und Plauen kam er zurück; allerdings ging er mehr über die Dörfer als in die Städte, arbeitete bei Bauern, und als er wieder nach Zwickau kam, war er zweiundzwanzig. Arbeit fand er in einer Maschinenfabrik, aber als er einen Streik mitorganisiert hatte, mußte er wieder fort. Er ging nach Oelsnitz, wurde Bergarbeiter, wie sein Vater gewesen war. Er wurde Mitglied der KPD. Achtundzwanzig |124| heiratete er Anna Röder, auch sie Tochter eines Bergarbeiters, einunddreißig wurde Ruth geboren. Aber zwischendurch mußten sie wieder fort, wieder nach einem Streik, man kündigte ihnen die Gemeindewohnung. So gingen sie nach Zwickau zurück. Und dann kam das Jahr dreiunddreißig. Er war seit zwei Jahren arbeitslos.
    Sie holten ihn gleich am Anfang, und er kannte sie alle: den Fleischergesellen Oehmichen, den Steiger Sachsenweger; der Junghäuer Kimpel hatte vor Wochen noch mit ihm an der gleichen Stempelstelle gestanden; den Lehrer Neumark, den Straßenarbeiter Jobst, den Gastwirtssohn Axmann, der spielte den Sturmführer. Hermann kam auf die Festung Sachsenburg, zwei Jahre lang. Fünfunddreißig ließen sie ihn frei.
    Da war Ruth schon vier Jahre alt, und Anna war schmal geworden und blaß, und gealtert war sie sehr. Er sah: In ihr fraß etwas, das war stärker als sie, das höhlte sie ganz aus. Neun und zehn Stunden Arbeit täglich in der Weberei, und sie wußte nie, was mit dem Kind war indessen, denn sie hatte keinen gehabt, bei dem sie Ruth hätte lassen können.
    Nun er wieder da war, wurde sie ein bißchen ruhiger. Aber er sah: Es war nur das Äußere, das er berührte. Die Angst saß tiefer, wirklich helfen konnte er nicht. Und das Lager verfolgte ihn überallhin. Auf der Grube gaben sie ihm die schlechtesten Arbeiten, die Kumpel gingen ihm aus dem Weg, auch die Hausleute. Aber wo war die Partei? Er traf manchmal einen Genossen, aber es war, als verkröche jeder sich in sich selbst. Er kannte die Gesetze der Illegalität – aber daß nicht einer einen Blick für ihn hatte … Vier Jahre lebte er so, immer an der Grenze seiner Kraft, von allem ausgeschlossen.
    Neununddreißig verhafteten sie ihn erneut. Es war eine Verhaftungswelle aus Routine. Und erst in Buchenwald erfuhr er, warum die Genossen ihn gemieden hatten. Weil sie dich doch so schnell wieder herausgelassen hatten. Und wir waren gewarnt worden vor dir, ein Spitzel, so hieß es.
    |125| Das sagte ihm Paul Vogt, ein Genosse aus Zwickau, und im

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