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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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nah, diekannjaandiemaschinegehnwennsiewillwirnicht, und schwirrten ineinander und brachen herein: Rotznase die, Großgusche die, oh du armes Deutschland, und das gab’s nie aber das kommt davon und ich hab’s ja gesagt o Gott. Da blieb keiner was schuldig, und da fehlte rein gar nichts und höchstens einer, der sich nicht auf den Zeh getreten gefühlt hätte, der fehlte.
    Aber da stand Jungandres auf. Und es wurde nun still. Und wenn man einen gefragt hätte, vielleicht hätte der auch gesagt: Der hat so was an sich, das sieht man gleich, der wird ihr schon Bescheid stoßen, von wegen. Dem kann keiner was vormachen und der weiß was los ist und dumm kommen läßt der sich schon gar nicht. Als aber Ruhe war, setzte sich der Dr. Jungandres wieder.
    Und es stand einer vorn, so ein Bürschlein, ja was war denn das für einer? Hat der etwa auch was zu sagen? Wer ist das, der neue Personalleiter ist das? Also das wird ja immer schöner. Da können die einem ja auch gleich einen Schulbuben vor die Nase setzen. Und wie der das Maul vollnimmt! Mal überlegen sollen wir und die Kollegin hätte ganz recht und hast |135| du da noch Töne? Da soll einen doch gleich der Blitz beim Scheißen treffen? So ein Rotzlöffel, so ein dahergelaufener! So ein Lauser! Und der Dr. Jungandres, der läßt den reden! Die stecken ja alle unter einer Decke, stecken die! Da sollen sie doch ihren Dreck selber machen! Wir kommen auch woanders unter, das sollen die sich mal merken!
    Aber zu ihr kam alles wie durch eine Wand.
    Jemand sprach. Wurde niedergeschrien. Überall standen sie auf und fuchtelten wild durcheinander. Viele gingen zum Ausgang. Der BGL-Vorsitzende lief zur Tür. Aber er konnte keinen zurückhalten. Der Personalleiter stand hilflos am Pult. Niemand kümmerte sich um ihn. Keiner hörte ihm mehr zu. Kautsky gestikulierte auf Jungandres ein. Der zündete sich ruhig seine Zigarre an. Der FDJ-Sekretär rannte hinter seiner Jugendgruppe her. Alles war auf der Flucht.
    Ruth saß bis zuletzt, allein, sie begriff nicht. Was war geschehen?
    Und hatte es doch gewußt … Immer, wenn die Frauen für sich selbst sprachen, wenn die Jungen ihren eigenen Weg gehen wollten, wenn sie, nicht einmal gegen die Männer und die Alten, sondern mit ihnen, neben ihnen, aber gleichberechtigt ihr Leben leben wollten, immer dann brach alle Zwietracht auf. Wenn sie aus der Bevormundung ausbrechen wollten, immer dann. Und wenn sie ihren Anspruch gelten machten, sie selbst zu sein.
     
    An der Tür stand noch der neue Personalleiter, er sah herüber. Der FDJ-Sekretär kam. »Du hättest das vorher mit uns besprechen müssen. Und mit der Partei. Da hast du uns ja was Schönes eingebrockt. Immer diese Eigenmächtigkeiten, diese gottverdammte Überheblichkeit. Darüber reden wir noch!« Sie knüllte ihr Taschentuch in der Hand. Sie hörte gar nicht zu.
    Als alle fort waren, kam Jungandres. Er legte die Hand auf ihre Schulter und sagte: »Irgendwann mußte das ja mal |136| kommen. Reiner Zufall, daß du es warst. Also mach dir nichts draus …«
    Aber sie hörte ihn nicht.
     
    Nickel ging nach der Versammlung gleich heim, das war: möbliertes Zimmer bei den Zellners, in das er eingewiesen war. Er war noch nicht recht heimisch bei diesen Leuten, schon gar nicht im Betrieb – aber was sind auch drei Tage. Daß er heute gesprochen hatte, das war ein Anfang.
    Er hatte auf den Zellner gewartet nach der Versammlung, aber er hatte ihn nirgends finden können. Da war er allein gegangen. Er hatte keine rechte Vorstellung, was für Leute das eigentlich waren, Zellner und seine kranke Frau; auch nicht, was das für eine Krankheit war, derentwegen sie niederlag seit Jahren. Die Tochter hatte ihm das gleich am ersten Tag gesagt. Sie war überhaupt die einzige, die richtig mit ihm sprach. Ingrid hieß sie, sie war Kellnerin irgendwo im Dorf, vielleicht, daß es deshalb war.
    Er ging die Dorfstraße entlang, und er erinnerte diesen Tag als den besten, seit er hier war. Die Versammlung war wichtig gewesen für ihn, er war entschlossen gewesen, sie zu nutzen. Irgend etwas, hatte er sich gesagt, mußt du sagen. Und hatte dann doch wieder nicht den Mut gehabt; was hätte er auch sagen sollen. Er verstand nichts von dieser Arbeit. Nach drei Tagen war er draußen, wie einer nur draußen sein kann. Es war alles viel größer, als er gedacht hatte, viel zugeschlossener. Die Parteigruppe winzig und kaum auffindbar. Der Betriebsrat wie zugeknöpft – Kautsky ein freundlicher Bürokrat,

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