Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
herrschen sollten. Wildwest, Sperrgebiet, ohne russischen Ausweis nicht raus und nicht rein. Und: Saufereien, Schlägereien, Phantasielöhne, Essen zwei bis drei. Christian hatte sich vorgenommen, nur das zu glauben, was er sah. Was er bis jetzt gesehen hatte, besagte wenig. Höchstens: Sie sind hier nicht eingerichtet auf Fisimatenten.

    Fischer unterhielt sich mit Loose. Er fragte ihn, ob er einen Beruf habe, und als Loose sich erkundigte, was denn gewünscht würde, schnitt er ihm das Wort ab; also ungelernt. Er hatte das mehr für sich gesagt, ruhig, ohne Vorwurf. Sie waren zu Dutzenden durch seine Schicht gegangen, Junge und Alte, Nachkriegsschicksale; er hatte sich angewöhnt, die Menschen nicht nach ihrem Fragebogen zu beurteilen. Aber Loose fuhr auf, zog die Schultern hoch, sagte, er habe eben überall Staub wischen müssen, wie sich’s gerade gab, Ziegel |24| putzen, Kartoffeln ausnehmen, Kohldampf schieben, Brennholz klauen. Außerdem: er wäre ganz gern Autoschlosser geworden, wenn es nach ihm gegangen wäre – bloß leider habe es da Leute gegeben, in Fischers Alter etwa, die hätten dafür gesorgt, daß keine Autos da seien, keine Häuser, nichts zu fressen und so; hinterher seien dann Autoschlosser nicht sehr gefragt gewesen.
    Fischer schwieg. Er blätterte in seinem Notizbuch, sah an ihnen vorbei, angestrengt, als gäbe es sehr weit entfernt etwas zu sehen, er blinzelte. Dann sagte er: »Was ist dein Vater von Beruf?«
    Aber Loose antwortete nicht. Er schob die Hände in die Hosentaschen, ließ den Steiger einfach sitzen mit seiner Frage, ging an ihm vorbei. Denn diese Fragen kannte er: soziale Herkunft, Rubrik sowieso, aha. Er hatte das erlebt, und er war postwendend in der Wertschätzung dieser Leute gestiegen, wenn sie erfuhren, daß sein Vater Metallarbeiter gewesen war, proletarisches Element, besondere Vorkommnisse keine. Erfuhren sie hingegen, daß er als SS-Mann in einem englischen Kriegsgefangenenlager in Griechenland an Flecktyphus gestorben war, dann entgleisten alle Aussichten. Man konnte sich das aussuchen. Es handelte sich aber immer um den gleichen Vater, und Peter Loose hatte es satt, zwischen den Möglichkeiten zu balancieren; sein Schlußstrich war gezogen. Er blieb vor Christians Bett stehen und fragte, ob er fertig sei. An der Tür drehte er sich noch einmal um, zündete betont langsam eine Zigarette an, warf das Streichholz auf den Fußboden. Er gehe also jetzt seine Decken holen. Hinter ihm verließ auch Christian das Zimmer.
    Als sie gegangen waren, saß Fischer steif am Tisch, hatte das Notizbuch vor sich, saß vornübergebeugt und schwieg lange; den vierten Mann schien er nicht wahrzunehmen. Stand dann auf. Ging zum Fenster. Er lehnte sich gegen das Fensterkreuz, er kniff die Augen zusammen, er sah hinaus.
    |25| Draußen dampften die Halden. Fischer sah Loose und Kleinschmidt die Lagerstraße hinuntergehen, sie verschwanden in einer Biegung, tauchten noch einmal auf, bogen dann ab. Es war nun völlig aufgeklart, und er konnte das ganze Tal überblicken. Er sah den Schornstein der Papierfabrik, sah die Schächte und Zufahrtsstraßen und einen Teil der Bahnlinie, er konnte auch den Wolfswinkel erkennen drüben am Gegenhang, wenngleich unscharf. Hinter dem Wolfswinkel wohnte er. Dorthin fuhr er heim, wenn die Arbeit ihm Zeit ließ. Zuletzt war er vor drei Tagen drüben gewesen, Regentag und Schichtwechsel. Er blinzelte in die Sonne, die von den Halden blendete, und er wußte noch genau, wie es zugegangen war. Ausbau, der zusammenrutschte, als habe es einer darauf angelegt. Steinschlag, der ihm den Helm vom Kopf schlug, ihn niederwarf – ein Wunder war’s, daß er wieder aufkam und heraus und beinahe heil. Glaubte auch etwas gehört zu haben aus dem Überhauen oben, durch die leere Rolle; aber als er hinaufkam, war alles still. – Abends, hinterm Wolfswinkel, hatte er in seiner Stube gesessen, Zacharias war dagewesen, der Kreissekretär, der hatte gesagt: Und wenn es Absicht war? Aber Fischer glaubte nicht daran. Geh, hatte er gesagt, Pfuscher sind’s, das ist alles. Und seine Tochter hatte dabeigesessen, müde von ihrer Schicht in der Papierfabrik, sie kannte das nun schon auswendig: man muß es ihnen immer wieder erklären, einmal begreifen die das schon, es hat halt seine Weile. Ja, hatte sie gesagt, Fischers Tochter, bis sie dich mit den Füßen voran herausschleppen.

    Er drehte sich um, er trat ins Zimmer zurück. Er sah da den letzten der vier Neuen, Müller, Siegfried

Weitere Kostenlose Bücher