Nur nicht aus Liebe weinen
1. KAPITEL
Die Aufzugtüren schlossen sich. Endlich konnte Laine Sinclair ihre sperrige Reisetasche abstellen, um ihre verkrampften Finger zu entspannen. Müde lehnte sie sich gegen die Metallwand des Lifts.
Wut und Enttäuschung hatten sie bis jetzt angetrieben. Doch so kurz vor dem herbeigesehnten Ziel verließen sie langsam ihre Kräfte, und der Jetlag machte sich bemerkbar. Offensichtlich hatte sich ihr Körper noch nicht an die neue Zeitzone gewöhnt. Zu allem Überfluss wurde nun auch noch das Pochen in ihrem verstauchten Knöchel immer stärker.
Nur noch ein paar Meter, dann bin ich endlich zu Hause, dachte Laine sehnsüchtig, als sie sich die sonnengebleichten Haare aus dem Gesicht strich. Und dann ein entspannendes Bad. Vielleicht noch einen wärmenden Tee oder eine Tasse Kakao. Oder lieber gleich ab ins Bett.
Zum Glück würde sie die Wohnung für sich allein haben. Jamie war bei der Arbeit, und die Putzfrau kam an einem anderen Tag. Also brauchte Laine niemanden zu befürchten, der sie bemuttern würde. Obwohl ihr ein bisschen Fürsorge besonders jetzt sehr gutgetan hätte.
Endlich konnte sie ein wenig zur Ruhe kommen, um sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen, bevor das große Verhör begann. Eigentlich standen die unvermeidlichen Fragen schon fest: Du hier? Was ist denn aus deiner Bootcharter-Firma geworden? Und wo ist eigentlich Andy?
Irgendwann würde sie auf diese und alle weiteren Fragen antworten müssen. Aber darüber konnte sie sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
Wenigstens von Jamie hatte sie keine Vorhaltungen und kein Das hab ich dir ja gleich gesagt! zu befürchten. Denn sein Leben war nicht weniger chaotisch als ihres.
Endlich hielt der Aufzug, und Laine schulterte ihre Reisetasche. Doch mit dem ersten Schritt in den Flur machte sich ihr Knöchel mit einem stechenden Schmerz bemerkbar.
Eilig kramte sie ihren Schlüssel hervor. Eigentlich hatte sie ihn gar nicht mitnehmen, sondern ebenso wie ihr damaliges Leben einfach zurücklassen wollen. Auf ihrem Weg in einen neuen Lebensabschnitt hatte sie ihn schließlich nicht mehr gebraucht.
Doch es war alles anders gekommen, als sie es sich erhofft hatte.
In der Wohnung angekommen, stellte sie ihre Tasche ab und sah sich prüfend im großen Wohnzimmer um. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich die Kochnische, und an den Seiten lagen zwei Schlafzimmer, jeweils mit eigenem Bad. Hier hatte jeder von ihnen sein eigenes Reich, und beide respektierten die Privatsphäre des jeweils anderen.
Während Laine sich umsah, stellte sie erstaunt fest, wie ungewöhnlich aufgeräumt die Wohnung war. Sonst markierten meist leere Weinflaschen, zerknitterte Zeitungen und leere Pizzakartons den Lebensraum ihres Bruders.
Vielleicht hatte sich ihre anhaltende Kritik nun endlich ausgezahlt. Immerhin konnte sie so problemlos zu ihrem Zimmer gelangen, ohne sich erst mühsam einen Weg bahnen zu müssen.
Aber warum stand eigentlich die Tür zu ihrem Zimmer offen, und wer war darin? Vielleicht ihre Putzfrau Mrs. Archer, die neuerdings an einem anderen Tag kam? Das würde immerhin den tadellosen Zustand der Wohnung erklären.
Gerade als Laine sich bemerkbar machen wollte, wurde ihre Zimmertür noch weiter geöffnet, und ein splitternackter Mann spazierte ins Wohnzimmer.
Voller Panik kniff sie die Augen zu und trat etwas zu hastig den Rückzug an. Dabei stieß sie ausgerechnet mit ihrem angeknacksten Knöchel gegen ihre Reisetasche. Der stechende Schmerz durchfuhr sie wie ein Blitz.
Auch dem Eindringling war der Schock deutlich anzumerken. Denn seine Begrüßung fiel alles andere als freundlich aus. Laut fluchend verschwand er gleich wieder in das Zimmer, aus dem er gekommen war.
Wie versteinert stand Laine da. Zunächst war es nur ein leises Flüstern, doch dann wurde das Flehen in ihrem Innern immer lauter: Nein – nicht er …
Die forsche Stimme des Eindringlings kannte sie nur zu gut. Allerdings hätte sie nie gedacht, sie jemals wieder zu hören. Schon gar nicht hier.
Der kurze Blick auf seinen Körper machte alles noch viel schlimmer, denn sie hatte ihn noch nie so sparsam bekleidet gesehen.
Jedoch bestand überhaupt kein Zweifel daran, wen sie vor sich hatte. Diese Gewissheit machte ihr Angst, und sie verspürte den Drang, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Sie war mit ihrer Tasche schon auf halbem Weg zur Tür, als seine Stimme sie erstarren ließ.
„Elaine.“ Wie sie es hasste, wenn man sie bei
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