Runlandsaga - Sturm der Serephin
finde, bekommst du von mir eine Abreibung, halb toter Mann am Strand hin oder her!«
Mirkas Gesicht nahm einen beinahe noch dunkleren Ton als seine Haare an. Baram grunzte und wandte sich von ihm ab.
Mit einem kaum hörbaren Knarren öffnete sich die Tür zur Schwarzen Nadel. In einiger Entfernung richtete sich der Wachmann, der die Auseinandersetzung des Alten mit den Kindern auf dem Wehrgang an das Geländer gelehnt mitverfolgt hatte, wieder auf, um seinen Rundgang fortzusetzen. Die kurze morgendliche Abwechslung war vorüber. Er blickte zum grauen Frühlingshimmel auf, der jeden Augenblick einen Regenschauer zur Erde herunterschicken mochte, und wartete gelangweilt auf die Wachablösung.
Die Jungen drängten sich hinter dem Schmied, als er durch den Eingang trat, wetteifernd, wer von ihnen als Erster einen Blick ins Innere des Turmes werfen durfte. Jeder der drei kannte die Nadel. Der Hafen am Rande der Stadt mochte weithin neben dem von Menelon als Runlands nördlichster Umschlagplatz für Waren bekannt sein, ein Handelsknotenpunkt, der sich selbst vor denen der Hafenstädte in den Südprovinzen nicht verstecken musste, doch das heimliche Wahrzeichen von Andostaan bildete der schwarze Turm der Meeresburg.
Rund, hoch und spitz zulaufend erhob er sich über die Mauern von Carn Taar, so weit, dass er der einzige Teil der Festung war, der auch vom entferntesten Punkt der Stadt unter ihr immer gesehen werden konnte, selbst wenn die Steilklippen die Burgmauern verdeckten. Während die restliche Festung aus dem hellen Granit erbaut worden war, aus denen auch die Klippen bestanden, hatte man für die Nadel Blöcke einer fremdartigen schwarzen Gesteinsart verwendet. Aus welcher Gegend sie hierher geschafft worden waren und von wem, gab ebenso Rätsel auf wie alles andere, was Carn Taars Geschichte betraf. Die einzigen Steine, die eine ähnliche Farbe besaßen, fand man in den Steinbrüchen westlich der Hochebene von Tool, aber selbst diese waren nicht so völlig dunkel wie jene, aus denen der Turm von Carn Taar bestand. Gegen den blauen Horizont eines Sommertages konnte die Nadel wirken, als ob jemand ein Loch in den Himmel gerissen hätte. Wenn Sonnenlicht auf die schwarzen Blöcke der Turmmauer fiel, glänzte das eigenartige Gestein, als wäre es eingefettet. Nur wenn man nahe an sie herantrat, erkannte man die feinen Linien, die anzeigten, wo einer der Steine endete und der nächste begann, was den Turm von Weitem aussehen ließ, als wäre er tatsächlich aus einem einzigen schwarzen Felsen herausgemeißelt worden. Selbst seine Spitze bestand nicht aus Holz oder gebrannten Dachschindeln, wie man es von den Türmen anderer Festungen kannte, sondern ebenfalls aus denselben Steinen wie seine Mauer. Da man ihn so hoch und spitz zulaufend gebaut hatte, wirkte er schlanker, als er eigentlich war, was den meisten Betrachtern erst auffiel, wenn sie nahe vor ihm standen.
Keiner der Jungen war jemals im Inneren des Turmes gewesen, wenn sie auch wie so viele andere Kinder, die in der Hafenstadt aufwuchsen, gelegentlich aus der Ferne einen Blick auf die Festung über den Klippen geworfen und sich gefragt hatten, wie weit man wohl von den höchsten Fenstern der Schwarzen Nadel in das Landesinnere hinein und auf die hohe See hinaus blicken konnte. Um so aufgeregter schlüpften sie nun hinter Baram durch die Tür. Sie mussten nicht miteinander reden, um zu wissen, dass jeder von ihnen darauf hoffte, so weit wie möglich im Turm nach oben zu gelangen, um die Nachricht zu überbringen, wegen der sie gekommen waren.
Das einzige Licht, das die Basis der Schwarzen Nadel erhellte, drang durch zwei vergitterte Fenster in Kopfhöhe. Allenfalls jemand von der Größe des alten Hufschmieds hätte von außen hindurchblicken können. Dieser Teil des Turms wurde als Vorratslager benutzt. Eine Menge Kisten und Säcke standen an den Wänden und lehnten an der breiten Säule in der Mitte des Raumes, um die herum sich eine steinerne Treppe nach oben wand. Hier, im untersten Bereich der Schwarzen Nadel, war es kühl, doch die Luft roch nicht verbraucht, sondern so frisch wie im Freien.
»Wohnen Margon und Thaja ganz oben?«, fragte das jüngste der Kinder leise.
»Halt‘s Maul, Velliarn!«, zischte Mirka. »Wegen dir werden wir noch rausgeworfen!«
Baram unterdrückte ein Lächeln.
»Nicht wegen dir, Kleiner!«, sagte er. Mirka wurde rot. Er vermied es, dem Blick des Alten zu begegnen.
»Ja, die beiden werden wohl ganz oben im Turm sein«,
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