Rushdie Salman
Handwerkern mit ihrem Werkzeug und
ihren Waren beladen worden waren. Metzger, Bäcker,
Bildhauer, Huren. Für talentiertes Personal war immer
Platz. Handwerkliches Können ließ sich transportieren,
Land nicht. Die Bauern, die wie mit Fesseln an das jetzt
dürre, sterbende Land gebunden waren, sahen der großen
Prozession hinterher. Dann aber, als wäre die Menge fest
entschlossen, sich eine Nacht zu verlustieren, ehe das
Elend ihres übrigen Lebens begann, marschierten die im
Stich gelassenen Menschen den Hügel hinauf zum Palast.
Heute Nacht, nur diese eine Nacht, wollte das gemeine
Volk Menschen-Pachisi im königlichen Hof spielen und
wie einst der Herrscher oben im steinernen Baum im
Haus der Privataudienz hocken. Heute Nacht konnte ein
Bauer auf der höchsten Terrasse des Panch Mahal sitzen
und Monarch über allem sein, was ihm zu Füßen lag.
Wer wollte, konnte heute Nacht sogar in den Schlafgemächern des Herrschers ruhen.
Morgen jedoch würden sie einen Weg finden müssen,
dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.
Nur ein Mitglied des königlichen Haushaltes sollte Fatehpur Sikri nicht mehr verlassen. Nachdem das Haus
Skanda nieder-gebrannt war, fiel Dame Man Bai in einen
Zustand geistiger Umnachtung; erst kreischte sie und
schrie nach Blut, dann aber, gemaßregelt durch Prinz
Salim, versank sie in Melancholie, in eine tiefe Trauer,
die sie abrupt verstummen ließ. Mit Sikris Tod endete
auch ihr Leben. Von Schuld übermannt, vielleicht auch
von der Last ihrer Verantwortung für das Ende der
Hauptstadt des Mogulreiches, nutzte sie im Chaos jener
letzten Tage einen Augenblick der Einsamkeit, verzog
sich in eine Ecke ihres Palastes, wo sie von keiner Dienerin gesehen werden konnte, aß Opium und starb. Und so
begrub Prinz Salim noch sein geliebtes Weib, ehe er sich
in Trauer zu seinem Vater an der Spitze des großen Zuges gesellte. Auf diese Weise fand die lange Feindschaft
zwischen Man Bai und dem Skelett ein tragisches Ende.
Als aber Akbar an jenem Kraterbecken vorüberritt, den
Sikris lebensspendender See hinterlassen hatte, begriff er,
unter wel-cher Art Fluch er litt. Es war die Zukunft, die
verwünscht worden war, nicht die Gegenwart. In der Gegenwart blieb er unbesiegbar. Wenn ihm der Sinn danach
stand, konnte er zehn neue Sikris bauen lassen. Doch
wenn es ihn einmal nicht mehr gab, würde alles, was er
gedacht hatte, was zu schaffen er getrachtet hatte, seine
Philosophie und seine Lebensweise, wie Wasser verdunsten. Die Zukunft würde nicht so sein, wie er sie sich erhofft hatte, sondern ein trockner, feindseliger, widriger
Ort, an dem Menschen überlebten, so gut sie es eben
vermochten; sie würden ihre Nachbarn hassen, würden
Gotteshäuser niederreißen und einander wieder in der neu
entfachten Hitze jener großen Fehde erschlagen, die er
auf immer zu beenden gehofft hatte, den Streit um und
über Gott. Nicht die Zivilisation, sondern Rücksichtslosigkeit würde in der Zukunft den Ton angeben.
«Wenn das Eure Lektion für mich ist, Mogul der Liebe»,
sprach er stumm den geflohenen Fremdling an, «dann ist
der Titel falsch, den Ihr Euch gegeben habt, denn in dieser Version der Welt ist nirgendwo Liebe zu finden.,,
An jenem Abend aber kam Qara Köz in sein Brokatzelt,
die verschwiegene Prinzessin, schön wie eine Flamme.
Dies war nicht die maskuline, kurzgeschorene Kreatur, in
die sie sich verwandelt hatte, um aus Florenz zu fliehen,
sondern die Prinzessin in all ihrer jugendlichen Schönheit, jenes unwiderstehliche Geschöpf, das schon Schah
Ismail von Persien und auch Argalia bezaubert hatte, den
Türken, den Florentiner Janitscharen, den Träger der
Verwunschenen Lanze. An jenem Abend auf Akbars
Rückzug von Sikri sprach sie ihn zum ersten Mal an. Es
gibt da etwas, sagte sie, da habt Ihr Euch geirrt.
Sie war unfruchtbar. Sie war die Geliebte eines Königs
und eines großen Kriegers gewesen, doch hatte es in beiden Fällen keine Nachkommen gegeben. Und auch in der
Neuen Welt hatte sie kein Mädchen geboren, sie war also
ohne Kind geblieben.
Wer dann war des Fremdlings Mutter, verlangte der
Herrscher erstaunt zu wissen. In den Spiegeltafeln an den
Wänden des Brokatzeltes fing sich das Kerzenlicht, dessen Widerschein in seinen Augen tanzte. Ich hatte einen
Spiegel, sagte die verschwiegene Prinzessin. Sie war mir
wie mein eigenes Widerbild im Wasser, wie das Echo
meiner Stimme. Wir haben alles miteinander geteilt, auch
unsere Männer, doch konnte
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