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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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Geographie der Erde zu ändern. Keine Mittelpassage wurde gefunden, und so blieb
sie in der Neuen Welt gefangen, bis sie zu sterben beschloss.»
Der Herrscher verharrte stumm, seine Miene war undurch-dringlich, das Wasser des Anup Talao weiterhin
aufgewühlt.
«Zu guter Letzt und nach allem, was geschehen ist, sollen
wir Euch also glauben», sagte der Herrscher schließlich
mit schwerer Stimme, «dass sie gelernt hat, die Zeit zu
verlangsamen?»
«Nur in ihrem Körper», erwiderte sein Gegenüber, «und
nur für sich allein.»
«Das wäre wahrlich eine erstaunliche Tat, sollte sie denn
möglich sein», sagte Akbar, stand auf und ging zurück in
den Palast.
    An jenem Abend saß Akbar allein auf der obersten Terrasse des Panch Mahal und lauschte in die Dunkelheit. Er
glaubte nicht an die Geschichte des Fremden, und er
wollte ihm eine bessere erzählen. Er war der Herrscher
der Träume; er konnte die Wahrheit aus der Dunkelheit
klauben und ans Licht bringen. Er hatte mit dem Fremden alle Geduld verloren und blieb am Ende, wie immer,
allein, also schickte er seine Phantasie wie einen Heroldvogel über die Welt, bis er ihm Antwort brachte. Dies
war nun seine Geschichte.
Vierundzwanzig Stunden später rief er Vespucci zurück
an das Beste aller Möglichen Becken, dessen Wasser vor
lauter Verwirrung noch immer aufgewühlt war. Mit
grimmiger Miene hob Akbar an: «Signor Vespucci»,
fragte er, «seid Ihr mit Kamelen vertraut? Hattet Ihr Gelegenheit, die Eigenarten dieser Tiere zu beobachten?»
Seine Stimme klang wie leiser Donner, der über das unruhige Wasser rollte. Der Fremde wusste nicht, was er
erwidern sollte.
    «Warum die Frage, Jahanpanah?», wollte er schließlich
wissen, und die Augen des Herrschers blitzten ihn verärgert an.
«Wagt ja nicht, uns Fragen zu stellen, Signor. Wir wiederholen noch einmal: Gibt es Kamele in der Neuen
Welt, Kamele, wie wir sie hier in Hindustan haben? Gibt
es Kamele unter all den Greifen und Drachen?», fragte
Akbar, und als sein Gegenüber den Kopf schüttelte, befahl er ihm mit gehobener Hand zu schweigen und fuhr
mit lauter werdender Stimme fort: «Die physische Freiheit eines Kamels, so haben wir oft gedacht, bietet uns
gewöhnlichen Sterblichen eine Lektion in Amoralität,
denn unter Kamelen ist nichts verboten. Ein junges
männliches Kamel mag schon bald nach der Geburt versuchen, mit der eigenen Mutter zu kopulieren. Ein erwachsenes männliches Tier kennt keinerlei Skrupel, die
eigene Tochter zu schwängern. Enkel, Großeltern, Geschwister, sie alle kommen in Frage, wenn ein Kamel
einen Partner sucht. Für ein Tier hat der Begriff Inzest
keinerlei Bedeutung. Wir dagegen sind keine Kamele,
nicht wahr? Inzest verbieten uns uralte Tabus, und strenge Strafen erwarten Paare, die dagegen verstoßen - Strafen, die zu Recht bestehen, wie Ihr uns hoffentlich zustimmen werdet.»
Ein Mann und eine Frau segeln in den Nebel und verlieren sich in einer formlosen neuen Welt, in der niemand
sie kennt. Auf dem ganzen weiten Erdenkreis haben sie
nur einander und die Dienerin. Der Mann ist selbst auch
ein Diener, ein Diener der Schönheit, und seine Reise ist
eine Reise der Liebe. Sie gelangen an einen Ort, dessen
Name so unwichtig ist, wie ihre eigenen Namen es sind.
Die Jahre vergehen, und ihre Hoffnungen sterben.
Überall um sie herum leben tatkräftige Menschen. Eine
wilde Welt im Süden, eine im Norden, die nach und nach
gebändigt werden. Gesetz, Form und Gestalt werden dem
aufgezwungen, was ursprünglich unveränderlich war,
doch ist es ein langer Prozess. Nur mühsam schreitet die
Eroberung voran. Man rückt vor, weicht zurück und
rückt erneut vor, es gibt kleine Siege, kleine Niederlagen
und dann wieder ein wenig Gewinn. Kein Mensch fragt,
ob dies gut oder schlecht ist. Das ist keine zulässige Frage. Gottes Werk wird verrichtet, und Gold wird ebenfalls
geschürft. Je größer der Tumult um sie herum, desto
dramatischer die Siege, je schrecklicher die Niederlage,
desto blutiger die Rache der Alten an der Neuen Welt,
und desto stiller werden sie, die drei unbedeutenden
Menschen, der Mann, die Frau, die Dienerin. Tag um
Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr werden sie kleiner
und unwichtiger. Dann schlägt die Krankheit zu, und die
Frau stirbt, aber sie hinterlässt ein Kind, ein Mädchen.
Dem Mann bleibt nichts auf Erden als das Kind und die
Dienerin, dieses Spiegelbild seiner toten Frau. Gemeinsam ziehen sie die Tochter groß. Angelica, das

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