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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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Ohr ans Glas. Nichts mehr, keine Geräusche, niemand mehr draussen. Trotzdem hörte ich nicht auf, gegen die Tür zu hämmern.
    Schritte, jemand drehte den Schlüssel um. Pereira stand in der Tür. Ich stürzte an ihm vorbei hinaus, stolperte, hielt mich am Beckenrand fest.
    «Es geht», sagte ich zu Pereira, obschon er mich nicht danach gefragt hatte.
    «Wir haben sie», sagte er, und ich nickte bloss.
    «Ich muss mich abkühlen», flüsterte ich, stürzte die Treppe hinunter zum Freiluftbecken und zog mich über den Rand ins kalte Wasser. Ich tauchte unter, schwamm ein paar Züge, tauchte auf, holte Luft, tauchte unter. An den Beckenrand gelehnt, legte ich meinen Kopf auf die Arme und heulte. Mein Herz hämmerte gegen die Schädeldecke. Später hob ich den Kopf und sah Licht und Polizisten in der Schwimmhalle. Sie schienen Bernasconi und Näf festgenommen zu haben. Ich tauchte noch einmal unter. Als ich aus dem Wasser stieg, war die Halle leer, die Polizisten hatten sich nach vorne verzogen. Nur Bernasconis blauweisse Sporttasche lehnte noch vergessen an der Wand neben den Liegestühlen. Ich nahm sie mit, als ich nach vorne ging, der nasse Trainingsanzug schlabberte um meine Beine und um meinen Bauch.
    Inzwischen waren auch die Gänge hell erleuchtet, ich hörte Stimmen beim Eingang. Ich holte meine Kleider und ging zu den Kabinen, um mich umzuziehen. Im Gang kam mir ein Polizist entgegen, ich kannte ihn vom Polizeiposten in Leukerbad.
    «Sind Sie das Opfer?»
    Zuerst verstand ich die Frage nicht, dann aber nickte ich.
    «Geht es? Brauchen Sie Hilfe?»
    «Nein, nein», wehrte ich ab, «ich möchte mich nur trocken anziehen.»
    «Kommen Sie doch bitte nachher zu uns auf den Posten.»
    Ich nickte, und er liess mich in Ruhe. Es dauerte lange, bis ich mich umgezogen hatte. Immer wieder sank ich kraftlos auf die Sitzbank, nach jedem Handgriff. Ich hatte Kopfweh, und eine unangenehme Nervosität machte sich im ganzen Körper breit.
    Als ich aus dem Bad trat, waren bis auf einen Polizisten in der Eingangshalle alle wie vom Erdboden verschwunden. Mich fröstelte. Ich wusste, wo sich der Polizeiposten befand, aber ich wollte noch einen Moment alleine sein. In einem Restaurant in der Nähe des Bahnhofs kaufte ich Zigaretten. Am Rande des Busbahnhofs setzte ich mich auf eine kleine Betonmauer. Nach vier Zügen an der Zigarette wurde mir schlecht, nicht gerade hilfreich. Die Neonbeleuchtung der gedeckten Terrasse, auf der die Busse hielten, stach in die Augen. Trotzdem zündete ich mir nach ein paar Minuten eine zweite Zigarette an. Die Polizei wartete bestimmt schon auf meine Aussage, aber ich hatte keine Lust, hinzugehen. Mir war schlecht und ich hatte Kopfweh. Immer noch schleppte ich Bernasconis Tasche mit mir herum. Ich warf einen Blick hinein.
    Die Tasche war bis oben hin mit Geld gefüllt. In verschiedenen Scheinen. Hunderttausend Franken, schätzte ich. Damit hatte ich Erfahrung.
    Ein Bus fuhr vor, sicher der letzte in dieser Nacht. Die Leute am Perron begannen einzusteigen. Ich stand auf und warf die Zigarettenpackung in einem hohen Bogen von der Terrasse in die Tiefe. Durch die Scheiben des Busses sah ich die missbilligenden Blicke der Passagiere. Ich schleppte mich zum Bus hinüber und stieg ein.

36
    Ich sass in meiner Küche und wärmte mir die Hände an einer grossen Tasse heissen Tees, wie gewohnt den Blick auf die Tankstelle gerichtet, deren Lichter in der frühen Dämmerung angegangen waren. Das Gespräch auf der Polizei hatte fast den ganzen Tag gedauert. Ich war unglaublich müde.
    Unten im Erdgeschoss fiel die Eingangstür laut krachend ins Schloss, ich hörte Schritte, meine Nachbarin kam nach Hause. Solche Geräusche nahm ich wieder wahr, ohne dass sie mich beunruhigten. Ich war müde, ich war erleichtert, ich war froh, ich hatte keine Angst mehr. Ich war enttäuscht, ich war sauer auf die Polizei, und ich machte mir Sorgen. Alles gleichzeitig. Ich war stolz, und ich hatte das Gefühl, versagt zu haben.
    Schon früh am Morgen, kurz nach acht, hatte die Polizei angerufen und mich höflich gebeten, vorbeizukommen. Sie hatten sogar anerboten, mich zu Hause abzuholen, aber das war nicht nötig. Auf dem Posten im Waisenhaus begriff ich, dass sich ihr schlechtes Gewissen und das meine die Waage hielten: Meines, weil ich gestern Nacht in Leukerbad einfach abgehauen war. Ihres, weil der Umgang der Walliser Lokalpolizisten mit einem Gewaltopfer wohl nicht den aktuellen Anforderungen entsprochen hatte. Jedenfalls

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