Russische Freunde
legal in unserem Besitz befunden hatte. Was der Fall gewesen war, solange das Original bei mir, als unschuldiger Finderin, oder bei den Ermittlungsakten der Polizei lag.
Auch ich hatte begriffen. Gussew und Jaschin, ihre Geschäfte und Transaktionen, ihre Verbindungen zu Lokalpolitikern und Anwälten, der Zweck der eigenartigen Wechselstube, die Tätigkeiten von AdFin, Perrens Verstrickungen, der Grund, weshalb Juri plötzlich Geld hatte. All das würde nicht wirklich Teil der Ermittlungen sein. Vorläufig jedenfalls interessierte sich die Polizei nicht dafür. Und später, falls etwas davon am Rand der polizeilichen Nachforschungen auftauchte, würde es zu spät sein. Trotzdem versuchte ich Lisa zu trösten.
«Es ist doch möglich, dass sie später, wenn sie die Unterlagen von Bernasconi und Perren genau unter die Lupe nehmen, auf Ungereimtheiten von AdFin stossen.»
«Perren wird vielleicht sein Anwaltspatent verlieren. Aber ob Gussew dann noch in der Schweiz sein wird, ist fraglich. Oder Jaschin, und wer immer sonst noch dahinter steckt», fluchte sie vor sich hin.
«Dann gib mir den Stick zurück», rutschte mir heraus, diese Rechnung war noch offen. Daraufhin wollte Lisa das Gespräch beenden.
Während ich das Telefon in meiner Tasche verstaute, beschloss ich, sie notfalls wirklich unter Druck zu setzen. Illegaler Datenbesitz war die Kopie in den Händen von MROS , sie hatte mich selbst auf die Idee gebracht. Während ich mich als Privat-person und Finderin des Sticks kaum strafbar machte für eine in Unkenntnis der Gesetze angefertigte Kopie.
Ich war mir aber nicht sicher, ob sie ihn jemals wieder herausrücken würde.
Daran dachte ich, als wieder einmal ein Volvo zu den Zapfsäulen fuhr, mit dieser Automarke kannte ich mich inzwischen aus.
Der Volvo war weinrot, eine Frau sass am Steuer, sie tankte und verschwand, ohne einen Blick in Richtung auf unser Haus geworfen zu haben. Hatte ich nun als Ermittlerin versagt, oder war ich erfolgreich gewesen? Nicht erfolgloser als viele andere, was den Kampf gegen illegale Finanzgeschäfte betraf, nahm ich an. Dass weitere Nachforschungen, selbst mit Hilfe des Sticks, noch etwas bringen würden, bezweifelte ich. Allenfalls liessen sich über die Fotos Kontakte von ein paar Berner Politikern zu den Russen nachweisen. Aber was brachte das gross, solange Gussew als unbescholtener Geschäftsmann galt?
Und getäuscht hatte ich mich in der Analyse von Ricklins Einkaufskorb. Den Weight-Watchers-Käse ass er also alleine. Wichtig war das nicht, und Ferien auf Teneriffa sind nichts für mich.
Ich wusste jetzt, was mit Juri geschehen war. Das zählte. Das meiste wusste ich. Was ich nicht wusste, war, auf welcher Seite Juri eigentlich gestanden hatte. Woher kam das viele Geld, das Geld bei Juri und nun auch bei Bernasconi? Half Juri Geld waschen? Warum war Bernasconi zu unserem Rendezvous mit einem Sack voll Geld aufgetaucht? Warum hatte er nach Perren und den anderen gefragt? Dachten die Russen, Bernasconi habe Juri das Geld abgenommen? Dachte Bernasconi, ich sei von den Russen geschickt worden, um das Geld einzutreiben?
Den ganzen Tag über hatte ich gewartet. Auf eine Frage, auf diese eine Frage, die Frage nach der weissblauen Sporttasche aus Plastik. Sie war mir nicht gestellt worden. Dabei wäre ich heute vorbereitet gewesen, mit einer lupenreinen Lüge. So aber wollte ich erst einmal abwarten, vorläufig. Jedenfalls konnte ich mich über die finanzielle Seite meiner Ermittlungen nicht beklagen.
Etwas war mir noch nicht klar. Ich griff zum Telefon und rief Petar an.
Ich fragte ihn, ob er etwas von einem Koffer von Juri wusste. Einen Koffer, den Juri bei mir in Obhut gegeben hatte und der verschwunden war. Mit Briefen, mit Fotos, Andenken.
«Ja, natürlich», Petar schrie beinahe ins Telefon, «der Koffer ist bei mir! Ich weiss nicht, was ich damit tun soll. Wem soll ich ihn denn geben? Juri hatte keine Verwandten!»
«Wie bist du denn zu dem Koffer gekommen?»
«Die Botschaft hat ihn mir gegeben, mit der Bitte, Verwandte oder Bekannte ausfindig zu machen. Aber wem soll ich ihn denn geben? Juri war allein.»
Endlich verstand ich auch das. Juri hatte den Koffer nach Leukerbad geholt, wie ich von Pereira wusste, und natürlich war der Koffer, gemeinsam mit allen anderen Taschen aus Leukerbad, auf der Botschaft und schliesslich bei Petar gelandet. Warum bloss war ich nicht selber darauf gekommen? Petar war froh, als ich mich bereit erklärte, den Koffer zu
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