Sabine geht: Abschied und Neustart einer Kommissarin (German Edition)
ich ja auch postwendend zu ihm gegangen.«
»Vor mir musst du dich nicht rechtfertigen«, lächelte Hedi ihre Tochter milde an.
»Ich will mich überhaupt nicht rechtfertigen«, erwiderte Sabine trotzig, drückte den Pappdeckel endlich zu und schob die Kiste zu den anderen. »Was ist denn mit dir?«, fragte sie dann, als sie sich wieder der Couch näherte, und nahm auf der Lehne Platz.
»Was soll schon sein?«, fragte ihre Mutter unschuldig blinzelnd zurück.
»Müssen wir dieses Gespräch wirklich immer so gezwungen beginnen?«, seufzte Sabine. »Ich merke, dass du heute einen guten Tag hast. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Phase auch beibehalten. Hast du deine Medikamente dabei?«
»Ich glaube nicht«, log Hedi, doch ihre Körpersprache verriet sie.
»In der Handtasche also«, sprach Sabine unbeeindruckt weiter.
»Weiß nicht.«
»Komm schon, Mama, wir wissen beide, was die Ärzte endlos predigen. Nur wer seine Medikamente über die guten Phasen hinweg einnimmt, kann die schlechten Schübe erfolgreich abschwächen. Das wollen wir doch beide, oder?«
»Aber mir geht’s gut«, kicherte Hedi, und der Unterton des freudlosen Kicherns war wie ein grellrotes Warnsignal für ihre Tochter. Sabine würde nicht mehr diskutieren.
»Vitamine nimmt man schließlich auch, bevor die Erkältung kommt«, knurrte sie, als sie wieder aufstand und zur Garderobe schritt. Sie öffnete die magnetische Schnalle der abgetragenen Tasche aus grauem Kunstleder und griff hinein. Wenn Sabine ehrlich war, erwartete sie beinahe, dass ihre Mutter das Dosett überhaupt nicht mitgebracht hatte, was leicht passieren konnte, wenn sie sie nicht persönlich mit dem Auto abholte. Aber Hedwig Kaufmann war psychisch krank, nicht aber entmündigt, und ließ sich eine gewisse Selbstständigkeit auch nicht nehmen. Wenn es ihr gut ging – auch wenn es solche Phasen in den vergangenen Monaten herzlich selten gegeben hatte –, kümmerte sie sich um ihren Haushalt, kochte sogar gelegentlich für ihre Tochter, setzte aber auch eigenmächtig ihre Medikamente ab. Überwachen konnte das niemand so recht, und zwingen konnte man sie schon gar nicht, so blieb die Verantwortung letzten Endes an Sabine hängen. Nach der letzten großen Krise, die erst wenige Wochen hinter ihnen lag, hatte die Kommissarin Nägel mit Köpfen gemacht.
Das Jobangebot schien die passende Alternative zu sein, die Kündigungsfrist ihrer Bude in Heddernheim betrug drei Monate, ließ sich aber aufgrund der Nachfrage nach vergleichsweise günstigem Wohnraum auf sechs Wochen reduzieren. In Bad Vilbel war etwas Passendes frei, teurer zwar, aber dafür auch deutlich geräumiger und zudem ruhiger gelegen. Für Hedwig Kaufmann bestand nach wie vor das offene Angebot, in eine Tagesklinik zu gehen, doch ohne eine treibende Kraft schaffte sie das nicht regelmäßig.
»Ich helfe dir dabei«, war Sabines Angebot gewesen, dem jedoch ein deutlich mahnender Unterton beiwohnte. »Du ziehst die Tagesklinik durch, und wir führen keine Endlosdiskussion um deine Medikamente, dafür ziehe ich in deine Nähe und schaue zu festen Zeiten vorbei. Und sollte dieser unselige Typ, Armin, noch einmal vor der Tür stehen, kümmere ich mich auch darum.«
»Willst du ihn einbuchten?«, war Hedis Gegenfrage gewesen, doch ihr Blick hatte verraten, dass sie es nicht ganz ernst meinte. Armin war Alkoholiker, nahm auch andere Drogen und hatte jahrelang bei Sabines Mutter gehaust, zumindest, wenn er nicht wusste, wohin er sollte oder wo er etwas zu trinken herbekam. Doch seit Sabine sich einmal mit all ihren ein Meter fünfundsechzig vor ihm aufgebaut und ihm gehörig den Marsch geblasen hatte, war er auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
»Ich stecke ihn zumindest mal in die Ausnüchterungszelle oder so«, hatte Sabine verschmitzt grinsend geantwortet.
»Dein Kaffee wird ganz kalt«, murmelte Hedi und deutete auf die Tasse, aus der sie kaum etwas getrunken hatte.
»Du hast recht, ein paar Minuten sollte ich mir gönnen.« Sabine lächelte sie an. Sie warf einen Blick auf ihr Handy, denn es befand sich keine Uhr mehr in Sichtweite. Noch über eine Stunde, stellte sie erleichtert fest, bis Michael mit dem gemieteten Transporter kommen sollte.
Mit geschürzten Lippen nippte sie und kommentierte anschließend: »Mensch, damit kann man ja Tote erwecken.« Ein Gedanke schoss ihr blitzartig in den Kopf, und sie grinste breit. »Das wäre der Untergang der Mordkommission, wenn es so wäre.«
»Wie?«
»Na,
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