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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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vielleicht aus dem Grunde, weil das Lindenblatt die Form eines Menschenherzens zeigt. Diese Bemerkung machte einst ein deutscher Dichter, der mir am liebsten ist, nämlich ich. Auf dem Titelblatte jenes Buches ist ein Knabe, der das Horn bläst; und wenn ein Deutscher in der Fremde dieses Bild lange betrachtet, glaubt er die wohlbekanntesten Töne zu vernehmen, und es könnte ihn wohl dabei das Heimweh beschleichen, wie den Schweizer Landsknecht, der auf der Straßburger Bastei Schildwache stand, fern den Kuhreigen hörte, die Pike von sich warf, über den Rhein schwamm, aber bald wieder eingefangen und als Deserteur erschossen wurde. »Des Knaben Wunderhorn« enthält darüber das rührende Lied:
    Zu Straßburg auf der Schanz’,
    Da ging mein Trauern an,
    Das Alphorn hört ich drüben wohl anstimmen,
    Ins Vaterland mußt ich hinüberschwimmen,
    Das ging nicht an.
    Ein’ Stund’ in der Nacht,
    Sie haben mich gebracht:
    Sie führten mich gleich vor des Hauptmanns Haus,
    Ach Gott, sie fischten mich im Strome auf,
    Mit mir ist’s aus.
    Frühmorgens um zehn Uhr
    Stellt man mich vor das Regiment;
    Ich soll da bitten um Pardon,
    Und ich bekomm doch meinen Lohn,
    Das weiß ich schon.
    Ihr Brüder allzumal,
    Heut seht ihr mich zum letztenmal;
    Der Hirtenbub ist doch nur schuld daran,
    Das Alphorn hat mir solches angetan,
    Das klag ich an. – – –
    Welch ein schönes Gedicht! Es liegt in diesen Volksliedern ein sonderbarer Zauber. Die Kunstpoeten wollen diese Naturerzeugnisse nachahmen, in derselben Weise, wie man künstliche Mineralwässer verfertigt. Aber wenn sie auch, durch chemischen Prozeß, die Bestandteile ermittelt, so entgeht ihnen doch die Hauptsache, die unzersetzbare sympathetische Naturkraft. In diesen Liedern fühlt man den Herzschlag des deutschen Volks. Hier offenbart sich all seine düstere Heiterkeit, all seine närrische Vernunft. Hier trommelt der deutsche Zorn, hier pfeift der deutsche Spott, hier küßt die deutsche Liebe. Hier perlt der echt deutsche Wein und die echt deutsche Träne. Letztere ist manchmal doch noch köstlicher als ersterer; es ist viel Eisen und Salz darin. Welche Naivität in der Treue! In der Untreue, welche Ehrlichkeit! Welch ein ehrlicher Kerl ist der arme Schwartenhals, obgleich er Straßenraub treibt! Hört einmal die phlegmatisch rührende Geschichte, die er von sich selber erzählt:
    Ich kam vor einer Frau Wirtin Haus,
    Man fragt’ mich, wer ich wäre?
    »Ich bin ein armer Schwartenhals,
    Ich eß und trink so gerne.«
    Man führt mich in die Stuben ein,
    Da bot man mir zu trinken,
    Die Augen ließ ich umhergehn,
    Den Becher ließ ich sinken.
    Man setzt’ mich oben an den Tisch,
    Als ob ich ein Kaufherr wäre,
    Und da es an ein Zahlen ging,
    Mein Säckel stand mir leere.
    Da ich des Nachts wollt schlafen gehn,
    Man wies mich in die Scheuer,
    Da ward mir armen Schwartenhals
    Mein Lachen viel zu teuer.
    Und da ich in die Scheuer kam,
    Da hub ich an zu nisteln,
    Da stachen mich die Hagendorn,
    Dazu die rauhen Disteln.
    Da ich zu morgens früh aufstand,
    Der Reif lag auf dem Dache,
    Da mußt ich armer Schwartenhals
    Meins Unglücks selber lachen.
    Ich nahm mein Schwert wohl in die Hand,
    Und gürt’ es an die Seiten,
    Ich Armer mußt zu Fuße gehn,
    Weil ich nicht hatt zu reiten.
    Ich hob mich auf und ging davon,
    Und macht mich auf die Straßen,
    Mir kam ein reicher Kaufmannssohn,
    Sein’ Tasch’ mußt er mir lassen.
    Dieser arme Schwartenhals ist der deutscheste Charakter, den ich kenne. Welche Ruhe, welche bewußte Kraft herrscht in diesem Gedichte! Aber auch unser Gretel sollt ihr kennenlernen. Es ist ein aufrichtiges Mädel, und ich liebe sie sehr. Der Hans sprach zu dem Gretel:
    »Nun schürz dich, Gretlein, schürz dich,
    Wohlauf mit mir davon,
    Das Korn ist abgeschnitten,
    Der Wein ist abgetan.«
    Sie antwortet vergnügt:
    »Ach Hänslein, liebes Hänslein,
    So laß mich bei dir sein,
    Die Wochen auf dem Felde,
    Den Feiertag beim Wein.«
    Da nahm er’s bei den Händen,
    Bei ihrer schneeweißen Hand,
    Er führt’, sie an ein Ende,
    Da er ein Wirtshaus fand.
    »Nun, Wirtin, liebe Wirtin,
    Schaut um nach kühlem Wein,
    Die Kleider dieses Gretlein
    Müssen verschlemmet sein.«
    Die Gret’ hub an zu weinen,
    Ihr Unmut, der war groß,
    Daß ihr die lichte Zähre
    Über die Wänglein floß.
    »Ach Hänslein, liebes Hänslein,
    Du redetest nicht also,
    Als du mich heim ausführtest
    Aus meines Vaters Hof.«
    Er nahm sie bei den Händen,
    Bei ihrer schneeweißen

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