Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
Vorwort
Die Arbeit an diesem Buch begann vor einem guten Jahr und doch in einer anderen Zeit: Die Wirtschaft wirtschaftete vor sich hin, Konjunkturprognosen waren noch etwas wert und zeigten nach oben. Dass dies auf porösem Grund geschah – der aufmerksame Leser des Wirtschaftsteils ahnte es vielleicht, und einige Bankvorstände wussten es. Aber auch sie konnten sich noch der Hoffnung hingeben, die Folgen der Finanzkrise würden nicht allzu weite Kreise ziehen.
Am 15 . September 2008 ließ die amerikanische Regierung die Investmentbank Lehman Brothers untergehen. Die Entscheidung erschütterte die Finanzmärkte und schließlich die gesamte Wirtschaft und gab der Arbeit an diesem Buch eine neue Bedeutung. Es ist – in einem Jahr wie dem vergangenen geht das nicht anders – auch ein Buch über Männer in der Krise geworden, die letztendlich eine Krise der männlichen Werte ist: Konkurrenz, Kampf, Geschwindigkeit. Alexander Dibelius erfuhr in New York vom Zusammenbruch von Lehman Brothers. Er schildert die darauf folgenden Wochen der Ungewissheit, ob Goldman Sachs, die traditionsreiche Investmentbank, ebenfalls in den Strudel der weltweiten Firmenpleiten gerissen würde. Jürgen Hambrecht, Chef des weltgrößten Chemieunternehmens BASF , berichtet, wie die Krise in jenem Herbst jäh in sein zuvor gesundes Unternehmen eindrang.
Im Grunde aber interessierte uns das Leben in den Vorstandsbüros, nicht nur das Überleben. Das Anliegen, mit dem wir die Konzernzentralen bereisten, ist zeitlos. Bei diesem Buch geht es um ein Psychogramm der deutschen Chefetage, darum, wie »die da oben« eigentlich sind. Eine einfache Frage. Und vielleicht deshalb so kompliziert.
Verließe man sich auf das Bild, das in der Öffentlichkeit von den Spitzenmanagern gezeichnet wird, wäre dieses Buch gar nicht nötig: Manager gelten da als selbstherrlich, unverantwortlich, als im eigentlichen Sinne asozial. Aber eben auch sehr mächtig. Männer, die Arbeit geben und Arbeit nehmen. Und ihr eigenes Gehalt immer wieder erhöhen. »Jeder ein geschlossenes System. Ein fleischgewordener Chip. Nicht ein Augenzwinkern verrät, dass sie gern leben«, schreibt Wolf Wondratschek dazu in seiner »Kleinen Rede an die Herren in den Flugzeugen«.
Wird einmal etwas abseits von Bilanzen und Börsengängen aus den Vorstandsetagen bekannt, schildert es vor allem das Versagen einer Klasse: Banken handeln mit faulen Krediten, Telekom, Bahn und Lidl lassen ihre Mitarbeiter bespitzeln, bei Siemens gehörte demnach die Bestechung praktisch zum Arbeitsalltag. Auf deutschen Chefetagen scheinen gesetzlose, ja archaische Zustände zu herrschen. Da sagt der Chef der Deutschen Bank in der Finanzkrise: »Wenn andere schwach sind, müssen wir stark sein.« Und als er nach den enormen Gehältern der Manager gefragt wurde, gab Josef Ackermann dann noch eine Antwort, die das Verhältnis der Manager zum Rest der Republik gut beschreibt: »Das ist natürlich aus der Logik einer Welt gesprochen, die nicht öffentlich darstellbar ist. Das ist mir auch klar.«
Die Welt der Manager ist vor allem eine hermetische Welt. Eine, die nur ein Innen und ein Außen kennt und keine fließenden Übergänge. Mit einem eigenen Codex und einer eigenen Sprache. In den Vorständen der 30 umsatzstärksten deutschen Aktiengesellschaften sitzt nur eine Frau; dafür kommt bei potentiellen Vorständen der Headhunter mitunter zum Abendessen, um festzustellen, ob die Ehefrau auch eine ist, die ihrem Mann den Rücken frei hält.
Manchmal müssen die Bewohner dieser Welt die oberen Etagen verlassen und die andere Welt durchqueren. Die Wege, die sie dann nutzen, sind perfekt gegen Einflüsse von außen abgedichtet: durch Limousinen, eigene Aufzüge und First-Class-Lounges. Jede Überschreitung dieser Grenzen erscheint berichtenswert: Wie der damalige Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1995 auf der Spanischen Treppe in Rom mit einigen Flaschen Rotwein den Geburtstag seiner Geliebten feierte, ist eine bis heute häufig erzählte Anekdote. Und eigentlich auch die einzige, die von gewöhnlichen menschlichen Regungen in der Kaste der Manager zeugt.
»Eine ganz eigene Art von Einsamkeit« glaubt Klaus-Peter Gushurst bei Spitzenmanagern zu erkennen. Er arbeitet seit Jahren für die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton mit Vorstandsvorsitzenden zusammen. »Morgens wird noch mit der Familie gefrühstückt, aber sobald sie zu ihrem Fahrer ins Auto steigen, sind sie Chef. Sie müssen immer hundert Prozent
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