Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
ihrer Bewegungen genau beobachtete.
Pepe und Fabian hatten dann lange geschlafen. Der erstere erwachte, als die Sonne dem Horizonte nahe stand.
»Nun schlafe Du, Rosenholz. Ich werde wachen.«
Der »große Adler« schüttelte den Kopf.
»Laß mich mit Dir wachen. Sieh doch den Jungen an, wie ruhig er schläft, gerade so ruhig, als schliefe er in dem Hause einer Straße am Manzanares und nicht auf einer Insel im wilden Rio Gilo! Soll ich da nicht wachen über mein theures Kind?«
Pepe mußte ein wenig lächeln bei dem Ausdrucke »Kind.«
»So wache mit! Schau, wie er lächelt! Santa Lauretta, wer weiß, von was Schönem er träumt!«
Ueber das kräftig gebräunte Angesicht Fabians flog ein Zug innigen Glückes; seine Lippen öffneten sich und flüsterten einen Namen:
»Rosarita!«
»Alle Wetter, Pepe, Du hast Recht! Also von Rosarita träumt er. Wer ist denn Rosarita?«
»Weißt Du nicht mehr, daß ihm Rosarita gesagt hat, Don Estevan de Arechiza sei der Graf von Mediana? Rosarita ist die Tochter Don Augustin Pena’s.«
»Richtig! Ah, mein lieber Fabian, so erfährt man also, daß Rosenholz und Pepe nicht die Einzigen sind, welche Du lieb hast!«
»Schrei nicht so laut, Rosenholz! Du weckst ihn ja auf, denn Deine Stimme gleicht ja dem Donnern eines Wasserfalles!«
»Richtig! Aber wer kann für seine Lunge!« meinte der Kanadier mit leiserer Stimme. »Sieh doch die Staubwolke, welche dort am Ufer des Flusses aufsteigt! Es ist ein Haufe wilder Pferde, die hier saufen wollen, ehe sie die ferne Weide aufsuchen, wo sie die Nacht zubringen werden. Dort kommen sie in all der stolzen Schönheit, die Gott den freien Thieren gibt. Ihr Auge flammt, ihre Nüstern sind roth und geöffnet, ihre Mähnen flattern im Winde. Ah, ich habe Lust, Fabian aufzuwecken, damit er sie sehen und bewundern kann!«
»Laß ihn schlafen, Rosenholz! Ich glaube, er wird vielleicht später die Augen desto offener halten müssen, denn sieh, jetzt gehen sie hin wie eine Wolke, die der Wind verjagt.«
»Teufel! Sie haben etwas Beunruhigendes bemerkt! Aber, da ändert sich die Scene: Schau den Hirsch, der dort seine großen, glänzenden Augen und sein schwarzes Maul in den Zwischenräumen der Bäume zeigt? Er muß etwas wittern; er horcht. Ah, da kommt er herbei, um ebenfalls zu saufen. Er hat ein Geräusch gehört – er richtet den Kopf in die Höhe. Sollte man nicht die Wasserfädchen, die von seinen Lippen gehen, für flüssiges Gold halten, wenn man die Sonne so dieselben färben sieht? Ha, was ist das!«
»Wölfe, Rosenholz, Wölfe sind es, die so brüllen oder vielmehr bellen, denn die jagenden Wölfe geben Töne von sich, welche denen des bellenden Hundes gleichen.«
Mit dem Geweihe auf den Lenden, mit geschwollenem Halse und zurückgeworfenem Kopfe, um durch die offenen Nasenlöcher die für seine große Lunge nöthige Luft leichter einathmen zu können, floh der Hirsch pfeilschnell über die Ebene dahin. Hinter ihm her war eine Meute hungriger Wölfe zu bemerken, einige weiß, die meisten aber schwarz. Diese Thiere verfolgten den Hirsch mit der Geschwindigkeit von Kugeln, welche auf dem ebenen Plane ricochettiren.
»Soll ich Fabian nicht wecken, Pepe?«
»Ja, wecke ihn, denn er wird ein sehenswertes Schauspiel haben, und später auch noch etwas mehr, wenn ich mich nicht irre.«
Bois-rosé rüttelte den Jüngling sanft und machte ihn auf den Hirsch aufmerksam.
Dieser hatte einen ungeheuren Vorsprung vor den Wölfen voraus; allein auf den Sanddünen, welche den Horizont begrenzten, konnte das scharfe Auge eines Jägers andere als Schildwache aufgestellte Wölfe bemerken, welche die Bemühungen ihrer Genossen, ihnen den Hirsch zuzutreiben, beobachteten.
Das edle Thier schien sie nicht zu bemerken oder ihre Anwesenheit nicht hoch anzuschlagen, denn es floh noch immer nach ihrer Seite hin. Beinahe bei ihnen angekommen, blieb es aber doch einen Augenblick stehen; es sah sich in einem Kreise von Feinden eingeschlossen, welcher immer enger wurde.
Plötzlich wandte sich der Hirsch nach den ihn verfolgenden Wölfen um und machte einen Versuch, über diese Gruppe wegzukommen. Allein es gelang ihm nicht, über diese Menge heulender Köpfe hinwegzusetzen, und er fiel mitten unter seine Verfolger hinein. Einige derselben stürzten unter seinen Füßen zusammen; zwei bis drei beschrieben, während sie, von seinem Geweih getroffen, ihr Eingeweide verloren, in der Luft eine Parabel. Dann ging das arme Thier mit einem Wolfe, der sich in
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