Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
mußte mit vor nach dem Eingange, wo die Weißen noch scharf auf Posten lagen, da die Utahs ihnen gegenüberstanden und sich noch nicht zurückgezogen hatten.
Diese Leute wußten nicht, woran sie waren. Die meisten derer, welche nach der Insel hatten gehen sollen, waren schon in den Gang eingedrungen gewesen, als derselbe plötzlich durch eine mächtige Stein- und Erdmasse von oben eingedrückt worden war. Diese Masse hatte viele der Eindringlinge erdrückt und den Gang so vollständig und fest verschüttet und verstopft, daß das Wasser des Sees nicht hinauszudringen vermochte. Und das hatte in der Absicht des »großen Bären« gelegen. Das Wasser sollte nicht nach außen in den Canon abfließen, sondern in das Innere der Insel dringen.
Die hintersten Utahs, welche nicht mit verschüttet wurden, waren erschrocken zurückgewichen und zu der andern Abteilung geeilt, um dort zu erzählen, was geschehen war. Man wußte nicht, ob alle, die sich in dem Gange befunden hatten, verloren seien, oder ob es denen, die nicht direkt verschüttet worden waren, gelungen sei, nach der Insel zu gelangen. War das letztere der Fall, so mußten diese Krieger die Weißen im Rücken angreifen. Man wartete von Minute zu Minute, daß dies geschehen werde, aber die Zeit verging, ohne daß sich diese Hoffnung erfüllte. Nun stand es fest, daß alle ein Opfer der Katastrophe geworden seien.
Es wurde Tag, und noch hielten die Utahs mit ihren Pferden an derselben Stelle. Sie hatten, um nicht von den Bleichgesichtern überrumpelt zu werden, einige Posten vorgeschoben. Da sahen sie Old Shatterhand unter den Bäumen erscheinen. Er rief ihnen zu, daß er mit ihrem Anführer zu sprechen wünsche. Dieser war überzeugt, daß der Jäger keinen Verrat beabsichtige, und ging ihm entgegen. Als sie zusammentrafen, sagte Old Shatterhand: »Du weißt, daß sich mehrere eurer Häuptlinge und Krieger als Geiseln bei uns befinden?«
»Ich weiß es. Es sind die berühmtesten unsrer Männer,« antwortete der Gefragte finster.
»Und weißt du, was mit euren Kriegern, welche den Gang betreten haben, geschehen ist?«
»Nein.«
»Der Gang stürzte zusammen, und das Wasser trat in denselben; sie sind alle ertrunken. Nur das »lange Ohr« ist entkommen. Soeben sind die erwarteten zweihundert Navajos angelangt. Wir sind euch weit überlegen, aber wir wünschen nicht euer Blut, sondern wir wollen euch Frieden geben. Die Geiseln glauben uns nicht, daß so viele eurer Leute im See umgekommen sind. Einer von euch soll es ihnen sagen, um sie zu überzeugen. Schließen sie nicht Frieden, so müssen sie binnen einer Stunde sterben, und euch werden wir jagen und hetzen, bis ihr zusammenbrecht. Sei klug, und gehe jetzt mit mir! Ich führe dich zu den Häuptlingen. Sprich mit ihnen, und dann kannst du wieder hierher zurückkehren.«
Der Mann blickte eine Weile vor sich nieder und sagte dann: »Old Shatterhand kennt keine Hinterlist. Du wirst Wort halten und mich zurückkehren lassen. Ich traue dir und gehe mit.«
Er unterrichtete seine Leute von seinem Vorhaben, legte die Waffen ab und folgte dann dem Jäger nach dem See. Dort herrschte reges Leben, denn die Navajos waren wirklich angekommen. Sie brannten vor Begierde, die Niederlage der Ihrigen an den Utahs zu rächen, und es hatte mehr als die gewöhnliche Überredungsgabe erfordert, sie dem Frieden geneigt zu machen. Die Geiseln waren von ihren Fesseln befreit worden; sie saßen unter hinreichender Bewachung bei einander, als Old Shatterhand ihren Kameraden brachte. Er ließ sich bei ihnen nieder, und dann wurde das »lange Ohr« zu ihnen geschickt, um ihnen den Hergang der Katastrophe zu berichten. Sonst mischte sich weiter niemand in ihre Beratung; sie mußten ja nun endlich selbst einsehen, daß sie von außen keine Hilfe zu erwarten hatten.
Ihre Unterhaltung währte lange; dann meldete das »lange Ohr«, daß sie den Entschluß gefaßt hätten, auf den Friedensvorschlag einzugehen.
Infolgedessen gab es eine feierliche Sitzung, an welcher die hervorragenden Weißen und Roten sich beteiligten; sie dauerte mehrere Stunden, und es wurden viele Reden gehalten, bis endlich die Friedenspfeife die Runde machte.
Das Resultat war ein »ewiger« Friede zwischen allen Parteien; Sühne war von keiner Seite zu leisten; die Gefangenen wurden freigegeben, und alle, Utahs, Navajos und Timbabatschen, verpflichteten sich, den Bleichgesichtern, welche im Felsenkessel wohnen und arbeiten wollten, Freundschaft zu erweisen und allen
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