Keine Frage des Geschmacks
Ins Wasser kehrt alles zurück
Den Anblick befremdlich gekleideter Touristen war man seit Goethes Italienreise und dem langen Aufenthalt Lord Byrons und der Shelleys im Land gewohnt. Er entlockte niemandem mehr einen abschätzigen Kommentar, seitdem die fernen, in Nordeuropa lebenden Verwandten während der Sommerferien Heimatbesuche machten. Die billige Massenware aus den Einkaufszentren und Outlet-Villages trieb die Globalisierung des schlechten Geschmacks in Riesenschritten voran.
Harald Bierchen jedoch zog die Blicke all jener Spaziergänger auf sich, die an diesem Spätnachmittag den Rive entlang auf den Molo Audace hinausschlenderten, an dessen Ende ein schwerer bronzefarbener Poller auf einem weißen Zementsockel die Windrichtungen anzeigte. Der hochgewachsene, massige Mann trug schlabbrige Hosen aus hellem Leinen mit vollgestopften Taschen, sein dicker Wanst quoll über den Gürtel, ein Zipfel des kurzärmeligen Hemdes hing heraus und gab den Blick auf den rosafarbenen Bauch frei, dessen Farbton sich in den Streifen der Oberbekleidung wiederholte. Seine Füße steckten in jenen billigen Plastiksandalen, die die afrikanischen Straßenverkäufer für ein paar Euro verkauften. Die leichte Brise wirbelte seine langen dunkelblonden Haarsträhnen auf, die er immer wieder von der Stirn nach hinten strich, damit sie die große kahle Stelle bedeckten. Eine riesige Sonnenbrille nahm fast ein Drittel seines Gesichts ein, das wie sein Körper birnenförmig war. Der schwere Sonnenbrand, der die Kartoffelnase und die fleischigen Wangen zeichnete, schimmerte unter den dicken Schlieren schludrig aufgetragener Sonnencreme hervor. Auf gut zwanzigtausend Euro hätten Kenner die Armbanduhr geschätzt, die in der Sonne aufblitzte, als der Riese die linkeHand an die Stirn legte und aufs Meer hinausschaute. Ein Zweimaster mit gerefften rostroten Segeln tuckerte mit Hilfe des Diesels langsam auf den am Kai winkenden Koloss zu. Die Passanten hielten inne, als das Schiff, an dessen Bug in goldenen Lettern der Name »Greta Garbo« prangte, längsseits kam und eine tiefgebräunte üppige Schönheit im knappen weißen Kleidchen barfuß und mit einem Tau in der Hand an Land sprang, um die Yacht an der Mole zu halten und dem behäbigen Mann an Bord zu helfen. Ihr langes fuchsfarbenes Haar wehte im Wind und lenkte wie ihre Rundungen von dem überschminkten Gesicht mit seinen eher groben Zügen ab. Auf Englisch bat sie ihn nachdrücklich, die Sandalen abzulegen, doch der Riese stapfte über das Deck, als hätte er sie nicht gehört, und ließ sich achtern mit einem zufriedenen Grunzen in einen weißen Sessel fallen. Der Skipper legte sogleich wieder ab, nachdem er den Passagier mit einem flüchtigen Handzeichen begrüßt hatte. Ein junger, muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper, großen dunklen Augen und wulstigen Lippen, um dessen Hals eine Kette mit einem pflaumengroßen roten Klunker baumelte.
»Grins nicht, Vittoria, lächle«, sagte er leise. »Der Chef hat ihm ein Abenteuer versprochen, das er nie vergessen soll. Also heiz ihm ordentlich ein. Vergiss nicht, wie viel Geld dir Lele jedes Mal reinschiebt, wenn er sich einsam fühlt. Allein damit machst du schon ein Vermögen.«
»Nur kein Neid, Kleiner. Ein Vergnügen ist das nicht. Mit dir wär’s vielleicht etwas anderes.« Sie warf ihm einen funkensprühenden Blick zu, strich sich mit beiden Händen durchs Haar, richtete dann den Sitz ihres Dekolletés und trug schließlich einen Champagnerkübel und zwei Gläser davon. Der Zweimaster passierte bereits den Deich vor dem Porto Vecchio, als sich der Champagner durch ein vorgetäuschtes Ungeschick über ihrem Dekolleté ergoss. Kaum hatte das Schiff die Hafenzone hinter sich gelassen, schob der Skipperlangsam den Gashebel nach vorn, stolz durchschnitt der Bug die Wellen, deren Gischt bis aufs Deck spritzte, wo sie langsam in Schaumblasen zerfiel. In einer Stunde etwa würde er zwischen der Isonzo-Mündung und Grado den Anker werfen, damit Harald Bierchen baden konnte. So wie es der Chef befohlen hatte.
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»Die Handlung ist schon trivial genug, aber so, wie die das abdrehen, ist es noch banaler. Eine angeblich italienische Kommissarin verliebt sich in einen schneidigen teutonischen Staatsanwalt, und nebenbei werden ein paar Mafiosi eingelocht, weil sie auch nachts dunkle Sonnenbrillen tragen und in aller Öffentlichkeit einem Politiker das Bestechungsgeld zustecken«, schimpfte Livia. »Ganz nebenbei entführen sie aber
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