Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Esperanza schon so ermüdet, daß er sein Pferd anhielt und den beiden andern zurief:
»Halt! Mein Pferd kann nicht weiter. Die Beine thun ihm weh! Es muß Ruhe haben, was der Lateiner Tranquillitas nennt.«
»Schön!« meinte Fritze, indem er halten blieb. »Ik bin’s sehr zufrieden, wenn wir eine Viertelstunde Ferien machen. Wenn wir in sonne Weise weiterjagen, kommen wir bis gegen Abend drüben in China an, und so weit wollen wir doch jar nicht.«
Der Chirurg aber wollte von einem Aufenthalte nichts wissen. Er gab als Grund an:
»Wir müssen heut noch bis Fort Tio kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Falle können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!«
»In Gottes Namen!« antwortete Morgenstern, indem er abstieg und sich ins weiche Camposgras setzte. »Wenn Sie Ihr Pferd zu Tode hetzen wollen, so thun Sie es. Wo nehmen Sie dann ein andres her? Ein Pferd ist auch ein Geschöpf Gottes. Sehen Sie nur, wie Sie es in diesen zwei Stunden zugerichtet haben! Es blutet an beiden Seiten. Sie sind von einer fürchterlichen Grausamkeit, lateinisch Atravitas oder Crudelitas , auch Duritas oder Immanitas , sogar Saevitia genannt.«
»Was ich mit meinem Pferde thue, das ist meine Sache, denn ich bin es, der es bezahlt hat, Señor.«
»Was das betrifft, so werden wir Ihnen nicht widersprechen,« meinte Fritze, »obgleich wir behaupten könnten, daß der Umstand, daß Sie es bezahlten, Ihnen noch nicht das Recht gibt, es zu martern. Wir quälen unsre Pferde nicht, sondern gönnen ihnen und uns die nötige Ruhe. Wir können Sie, wenn Sie partout weiter wollen, nicht halten.«
Er setzte sich neben seinen Herrn nieder. Der Chirurg brummte einige unwillige Bemerkungen in den Bart, hielt es aber doch für besser, sich zu fügen anstatt weiter zu reiten. Schon nach einer halben Stunde aber drängte er wieder zum Aufbruche, und die beiden andern thaten nach seinem Willen, nachdem sie vorher den ihrigen durchgesetzt gehabt hatten.
Der weite Campo, durch den sie ritten, war vollständig eben und nur mit Gras bewachsen. Nirgends zeigte sich ein Strauch oder gar ein Baum; Wälder und Buschwerk findet man nur da, wo es Wasser gibt. Als sie eine Weile geritten waren, vernahmen sie einen wüsten Lärm hinter sich. Sich nach demselben umdrehend, gewahrten sie, daß die Diligence, welcher die Post- und Passagierverbindung zwischen Santa Fé und Cordova oblag, ihnen folgte.
Eine solche Diligencereise ist etwas ganz andres als eine Fahrt mit einer ehrbaren deutschen Postkutsche. Der Unterschied zwischen beiden ist dem Kontraste zwischen einem linden Mailüftchen und einem rasenden Pamperosturm zu vergleichen.
Man spricht oder sprach zwar auch in den La Platastaaten von Straßen; aber bei diesem Worte darf man nicht etwa an chaussierte Wege, welche von Baumreihen eingesäumt werden, denken. Landstraßen oder gut und regelmäßig unterhaltene Wege gibt es dort nicht, da das Material zum Bau derselben vollständig mangelt. Holz ist selten, und Stein findet man gar nirgends. Ein jeder reitet oder fährt in der Richtung, welche ihn zum Ziele bringt, ganz gleich, ob dabei einen oder einige Kilometer weit nach rechts oder nach links abgewichen wird.
Das, was man Straße nennt, besteht aus einer mehr oder weniger breiten Reihe von Spuren und Geleisen, welche in beliebiger Art und Weise über die Pampas führen. Bald hat man einem Bodeneinschnitte zu folgen, bald einen Sumpftümpel zu umgehen oder einen jener kleinen aber steiluferigen Flüsse zu durchqueren, welche hie oder da vorkommen, um ohne alle Verbindung mit einem größeren Strome oder Flusse in der Pampa nach und nach zu verlaufen.
Genau so mangelhaft wie diese Straßen sind auch die Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden, meist armselige Ranchos, in welchen der Reisende nicht eine Spur von jenen Bequemlichkeiten findet, auf welche bei uns jeder Passagier Anspruch machen zu müssen glaubt.
Und die Postwagen erst! Diese Fahrzeuge scheinen aus einer Zeit zu stammen, in welcher der Mensch mit dem Höhlenbären auf du und du verkehrte. Sie sind so roh gearbeitet und von so unbehilflicher Form, daß ihr Anblick einem zivilisierten Reisenden, der gezwungen ist, sich ihrer zu bedienen, Grauen einflößt. Das Innere derselben faßt gewöhnlich acht Menschen, während nach unsern Begriffen nur vier Platz hätten. Und dazu müssen diese acht all ihr Reisegepäck bei sich haben. Draußen, hinter dem Kutscher oder Mayoral,
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