Schwarzer Koks (German Edition)
Kapitel 1
Putumayo, Kolumbien
30. März 2011
Nathan hörte die Kampfhubschrauber, bevor er sie sah. Das
tschop-tschop-tschop
ihrer Rotorblätter schwoll zu einem Wummern, unter dem das mittägliche Geschnatter des Regenwalds im Handumdrehen verschwand. Die Koka-Arbeiter um ihn herum stoben auseinander. Einige liefen in ihre windigen Lehm- und Bambushütten, andere warfen sich hinter umgestürzte Bäume, der Rest suchte Zuflucht unter dem Wellblechdach des Labors. Mit Sturmgewehren, Munitionsgurten und Handgranaten bewaffnete Drogenhändler hetzten durch das Lager. Unter hastigen Blicken an den Himmel bellten sie Befehl auf Befehl. Eine Gruppe von ihnen stürzte auf einen rostigen alten Militärtruck zu und begann ihn mit Säcken voll Kokain zu beladen.
Manuel Rosa kam auf Nathan zugerannt, das gute Auge weit aufgerissen, das andere von einer schwarzen Klappe bedeckt. So tief wie die Stirn des jungen Mannes gefurcht war, hätte man meinen können, er sei so geboren. Er trug die Hose eines grünen Kampfanzugs und die Risse in seinem Hemd zeigten eine muskulöse, vernarbte Brust.
Vier Apache-Hubschrauber durchstießen die aufziehenden Gewitterwolken, die Hellfire-Raketen unter den Stummelflügeln deutlich zu sehen.
»Killerkommandos!«, rief Manuel.
Nathan biss die Zähne zusammen. Genau deshalb war er hier.
»Wie das denn?«, fragte er.
»Denen hat einer einen Tipp gegeben!« Manuel packte Nathan am Arm. »Verschwinden wir!«
Wie als Reaktion darauf begannen die 30-mm-Geschosse knatternder Bordkanonen in Hütten und Menschen zu fahren. Nathan warf sich zu Boden. Er zerrte die Spiegelreflex aus dem Rucksack und zoomte das Geschehen heran. Auf der anderen Seite der Lichtung zerfetzten die Geschosse die zuckenden Körper dreier
narcotraficantes
. Die Erde bebte. Der Truck verschwand in einer Wolke aus Feuer und Rauch, aus der glühendheiße Metallsplitter schossen. Die Kampfhubschrauber stießen herab. Der Wind der Rotorblätter ließ Wirbelstürme aus Laub, Zweigen und Erde gegen die Hütten fahren.
Das hier war kein kleines Scharmützel wie die anderen Male. Sein Herz auf Hochtouren, folgte Nathan Manuel, der mit gesenktem Kopf auf die relative Sicherheit des Dschungels zuhielt. Kurz vor den ersten Bäumen warf er sich noch einmal herum und hob die Kamera. Männer in schwarzer Kampfmontur und Sturmhauben hingen von Lynx-Hubschraubern, die hinter den Apaches hereinkamen. Noch im Abspringen deckten sie das Lager mit ersten Feuerstößen aus Schnellfeuerwaffen ein.
»Mach schon!« Manuel zerrte ein weiteres Mal an Nathans Arm.
»Gleich, Mann, gleich!« Nathan stellte die Kamera auf Schnellschuss-Modus. »Ich brauche die Bilder!«
Ein Geschoss sirrte vorbei und riss einen Sprühregen von Borke aus einem Baum. Ein weiteres zupfte an seinem Hemdsärmel.
Womöglich war es ja wirklich Zeit.
Er sprintete hinter Manuel her, sprang über umgestürzte Bäume, duckte sich unter tiefhängenden Ästen hindurch. Er rutschte in einer Schlammpfütze aus, kollidierte schmerzhaft mit einem Baum, rannte taumelnd weiter. In Strömen lief ihm der Schweiß von der Stirn. Das Feuergefecht und das Geschrei hinter ihnen gewannen an Vehemenz. Den herabfahrenden Raketen folgten gewaltige Explosionen. Dann schien man plötzlich ein Feuerwerk abzubrennen; offensichtlich hatte es das Munitionslager erwischt.
Eine kaum wahrzunehmende Bewegung vor ihm, ein Schatten im Unterholz. Noch bevor er sich dessen bewusst war, schlug seine Ausbildung durch. Er riss die Pistole heraus. Vor ihm sprang ein Para im schwarzen Kampfanzug aus dem Dickicht. Nathan richtete die Pistole auf seinen Kopf.
»Waffe weg!«, schrie er.
Der Para fuhr herum, sah Nathan, zögerte.
»Fallen lassen! Sofort!«
Der Para ließ sein Sturmgewehr fallen. Das M-16 landete auf der Erde.
»Hände hoch!«, sagte Nathan. Die Pistole auf den Para gerichtet, bückte er sich nach dem Gewehr. Er war versucht abzudrücken, den Mann zu töten, um ihn für all die Gräuel bezahlen zu lassen, die Nathan die Paramilitärs hatte begehen sehen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er ließ den Mann stehen und hetzte hinter Manuel her. Der funkelte ihn über die Schulter hinweg böse an.
Immer tiefer drangen sie ein in den dämmerigen Regenwald. Das Getöse der Schlacht war bald verklungen. Das Unterholz verschlang sie wie ein hungriges Tier. Sie befanden sich in Sekundärdschungel: dicht verschlungener Vegetation, die gewachsen war, nachdem man den Primärdschungel mit seinen
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