Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Gnaden haben ihn soeben aufgesetzt. Der Ihrige ist aus dem Fenster gefallen.«
»Himmel! Zum Fenster hinaus? So ist er verloren. Woher bekomme ich einen andern! Schreckliche Geschichte, so eine Fahrt mit der Diligence!«
Glücklicherweise ist der Hut nicht verloren. Der Peon hat ihn fliegen sehen, ist umgekehrt, hat ihn, ohne abzusteigen, aufgehoben und bringt ihn jetzt zurück. Indem er ihn zum offenen Fenster hereinwirft, ruft er:
»Hüte festhalten oder anbinden, Señores! Wir haben fast dreißig Kilometer in der Stunde zurückzulegen und können auf Ihre Hüte keine Rücksicht nehmen.«
Dann reitet er wieder vor, um die Zugpferde mit Gebrüll und Peitschenhieben anzutreiben. Gelangt man zufälligerweise an einen ausgetrockneten Bach oder kleinen Fluß, so geht es in Carriere hüben hinab, hindurch und drüben wieder hinauf. Der Peon aber springt vom Pferde, um im Bette des Flusses nach Rollkieseln, den einzigen Steinen, welche es in den Pampas gibt, zu suchen. Er füllt seine Taschen damit und sprengt der Diligence nach, um, wenn die Hiebe nicht genug fruchten, die Pferde dadurch anzutreiben, daß er sie mit Kieseln bombardiert.
Dieser Peon ist ein Meister im Reiten, wird aber von dem Vorreiter womöglich noch übertroffen. Dem letzteren liegt es ob, die Richtung anzugeben. Er hat das Gelände zu überschauen, um mit sicherem Blicke die zu vermeidenden Stellen zu entdecken. Dazu gehört, da man stets in Carriere fährt, eine große Übung. Oft muß er, um eine gefährliche Stelle zu umgehen, eine ganz plötzliche Wendung machen. Dann schreit er wie verrückt; der Mayoral brüllt und haut und sticht auf die Pferde ein, und der Mittelreiter und der nebenher jagende Peon heulen ebenso laut. Die Passagiere, denen himmelangst wird, lassen ihre Stimmen auch hören. Das Gefährt wird in die betreffende Richtung gerissen, um dann gleich wieder auf die andre Seite gezerrt zu werden, was sich besonders dadurch so gefährlich ausnimmt, daß der Vorreiter jede Abweichung von der geraden Linie übertreiben muß.
Will er, daß der Wagen in einem Winkel von zehn Grad abweiche, so reitet er selbst in einem Winkel von dreißig Grad nach der betreffenden Seite. Kommt dann eine ebenso große und ebenso rasche Biegung nach der andern Seite vor, so hat er sein Pferd auf einer Strecke von nur wenigen Metern in einem Winkel von sechzig Graden hin und her gerissen, wobei dem angstvoll zuschauenden Passagiere sich die Haare auf dem Kopfe sträuben möchten.
Man legt, wie bereits erwähnt, auf diese Weise wohl fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück, doch nur mit frischen Pferden, welche durch das unsinnige Jagen bald so ermatten, daß dieses Resultat nach und nach ein geringeres wird.
Nähert man sich einer Station, auf welcher Pferdewechsel stattfindet, so jagt der Peon voraus, um die Leute dort zu benachrichtigen. Die Diligencegesellschaften haben nämlich mit denjenigen Estancieros, Hacienderos und Rancheros, deren Besitzungen in der Nähe des Weges liegen, Kontrakte abgeschlossen. Sobald der Peon kommt, werden die Pferde in den Corral getrieben, um da gefangen zu werden. Man hält sie fest und legt ihnen den Gurt an. Die Tiere wissen, welche Anstrengungen und Mißhandlungen ihnen bevorstehen, und wehren sich aus Leibeskräften. Das führt dann wieder zu Scenen, von denen der gebildete Mann sich mit Unwillen abwendet. Die gebrauchten Pferde werden frei gelassen und rennen, vor Freude wiehernd, davon; die frischen werden, indem sie sich bäumen und schnaubend um sich schlagen, an den Wagen gehängt, und dann geht die tolle Fahrt von neuem an.
In den Jahreszeiten des fetten Graswuchses sind die Pferde besser genährt und vermögen solche Anstrengungen leidlich auszuhalten. Ist aber die Weide mangelhaft, oder liegen die Pampas gar dürr, so sind die armen Tiere ausgehungert und vermögen den schweren Wagen kaum zu schleppen. Sollen sie dann noch in rasender Carriere laufen, so können sie es nicht aushalten und brechen schließlich mitten im Rennen zusammen. Das thut aber nichts. Man hat Reservepferde mitgenommen. Man schnallt dem Gurt einem derselben um und läßt das gestürzte Pferd einfach liegen. Es lebt noch, ist aber so abgehetzt und ermattet, daß es nicht aufstehen kann. Seine Flanken schlagen; seine Extremitäten zucken krampfhaft; seine Augen sind mit Blut unterlaufen, und die Zunge hängt ihm weit aus dem geöffneten Maule. Die Geier, welche in Menge auf den Pampas vorhanden sind, und denen niemand etwas
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