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Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Titel: Saemtliche Werke von Karl May - Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Oase lag ein kleiner Süßwassersee, welcher durch eine ziemlich reich fließende Quelle gespeist wurde. Da diese am Rande der Oase entsprang, hatte sie bis zum See eine Strecke zurückzulegen, auf der sie einen Graben bildete, welcher sehr wenig Gefälle hatte. Dieser Graben war halb angefüllt von verwesenden Pflanzenresten, welche einen moorartigen Boden bildeten, in dem zahllose Blutegel ihre Entwickelung gefunden hatten. Daher war diese Quelle die Blutegelquelle genannt worden. Übrigens hielten sich diese Tiere nur in dem Graben und nicht in der Quelle selbst auf, infolgedessen das Wasser derselben sich trinken ließ. Auch in dem See, welcher nicht sehr tief war, gab es keine Egel, desto mehr aber Fische, welche den in dieser Gegend schweifenden Roten oder Weißen ein willkommenes Mahl bieten konnten.
    Um den See und an den beiden Ufern des Grabens hin zogen sich breite Ränder von Bäumen und Sträuchern, meist Channjars und Algaroten, in deren Laub eine muntere Vogelwelt ihr Wesen trieb. Und so weit der Einfluß der durchsickernden und verdunstenden Feuchtigkeit reichte, hatte sich auch außerhalb der Oase im Sande ein Graswuchs entwickelt, welcher zwar je weiter entfernt, um so spärlicher wurde, aber in der Nähe der Bäume ein saftiges Grün bildete, welches den Pferden der Truppe mehr als reichlich Nahrung bot.
    Hier hielten die Reiter an. Sie tranken sich zunächst selbst erst satt und führten dann auch ihre Pferde zu der Quelle, um ihnen die seit gestern früh entbehrte Labung zu bieten. »Don Parmesan« hatte ebenso wie die andern dürsten müssen, aber noch entzückter als über das ersehnte Wasser war er über die Blutegel, welche er in dem Graben sah.
    »Welch ein Fund!« rief er aus, indem er sich an Doktor Morgenstern wendete. »Hier könnte man tausend fieberkranken Menschen in einer halben Stunde tausend Liter Blut abzapfen. Freuen Sie sich nicht auch über diese prächtigen, allerliebsten Geschöpfe?«
    »Wenn es lauter Mammuths oder Mastodons wären, würde ich mich freuen,« antwortete der Gefragte; »aber ein Blutegel, lateinisch Hirudo genannt, kann mich nicht in Wonne versetzen.«
    »Weil Sie mehr vor als nach der Sündflut leben, Señor. Denken Sie sich irgend einen entzündeten Zustand. Welches Glück, wenn man da Blutegel bei der Hand hat. Jede Geschwulst wird dadurch gehoben, daß man einige Dutzend dieser nützlichen Geschöpfe an dieselbe legt. Ich setze den Fall, Ihre Zunge oder Ihr Zahnfleisch wäre geschwollen, so würde ich Ihnen mit Vergnügen zwanzig oder dreißig Blutegel in den Mund stecken.«
    »Danke sehr, Señor – – –«
    »Don, Don Parmesan, nicht Señor!« unterbrach ihn der andre in strafendem Tone.
    »Schön! Verzeihen Sie, Don Parmesan! Ich danke für das Vergnügen, einen Egel in den Mund zu nehmen! Und nun gar zwanzig! Nein, niemals!«
    »Nicht? Nun, so wünsche ich von ganzem Herzen, Ihre Zunge läge Ihnen so dick wie ein Ochsenfrosch im Munde! Dann würden Sie mit Vergnügen die Egel nehmen.«
    »Ich muß bemerken, daß dies kein sehr humaner Wunsch ist, Don Parmesan. Einem Freunde wünscht man keinen Ochsenfrosch in den Mund. Übrigens ist es noch gar nicht erwiesen, ob dies auch die wirklichen medizinischen Blutegel sind.«
    »Sie sind es. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.«
    Er brach einen Zweig ab und schlug mit demselben auf das Wasser, um einige der gleich herbeischwimmenden Blutegel mit seinem Hute herauszufischen. Als er einen derselben in die Hand nahm, formte sich derselbe sofort in Kugelgestalt.
    »Sehen Sie, daß er echt ist!« rief er aus. »Sobald sich der Egel zu einer Kugel zusammenballt, ist er brauchbar. Ich werde Ihnen das noch weiter beweisen. Bitte, stecken Sie einmal die Zunge heraus! Ich will Ihnen diese Egel an dieselbe setzen, und Sie werden sehen, daß sie sofort anbeißen.«
    »Warum gerade die Zunge, Don Parmesan?«
    »Weil sie der blutreichste Teil Ihres Körpers ist, den Sie augenblicklich zur Verfügung haben.«
    »So ersuche ich Sie ergebenst, dieses Experiment an Ihrer eigenen Zunge, lateinisch Lingua genannt, vorzunehmen. Sie befinden sich doch ebenso wie ich in dem Besitze eines solchen Gliedes.«
    Er wich vor dem Chirurgen zurück. Dieser bemerkte kopfschüttelnd dazu:
    »Ich kann nicht begreifen, wie ein Naturforscher, ein Zoolog, eine solche Scheu vor diesen reinlichen Tierchen haben kann. Ich werde diese schöne Gelegenheit benutzen, mir einen Vorrat derselben zu fangen und aufzubewahren. Ich habe glücklicherweise

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