Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
so weit von den Nijoras entfernt, daß sie uns nicht sehen können. Wenn wir dann im Süden am Winterwasser angekommen sind, führe ich die Roten auf dem trockenen Grunde desselben abwärts bis in die Nähe der Furt, wo sie auf uns warten müssen. Dann kehre ich zu euch zurück und wir brechen mit der weißen Gesellschaft auf.«
»Das ist richtig. So habe ich es auch gedacht. Wir führen die Weißen nach der Furt, reiten hinab, aber nicht drüben wieder hinauf, sondern wenden uns nach rechts dem Wasser des Chelly zu.«
»Ganz recht! Dort steigen wir von den Pferden und thun so, als ob wir hier ausruhen wollten. Zugleich aber müssen wir dafür sorgen, daß uns die Nijoras nicht etwa beim ersten Anpralle fassen können. Es gibt da unten Felsen genug, hinter welche wir sofort springen können, wenn die Roten kommen. Deine Silberbüchse und mein Henrystutzen werden die ersten Worte mit ihnen reden, und dann sind ihnen die Navajos schon im Rücken.«
»Werden wir schießen müssen?«
»Wenn es nicht anders geht, ja; wir wollen aber möglichst ihr Leben schonen. Doch, ich glaube, daß wir nun beinahe an Ort und Stelle sind.«
Sein scharfes Auge hatte sich trotz der Dunkelheit zurechtgefunden. Die beiden näherten sich dem Saume des Ufers und riefen Schi-So’s Namen; er antwortete und kam mit den Pferden aus den Büschen, zwischen denen er gesteckt hatte, heraus.
»Gute Nacht!« sagte Winnetou, indem er sein Pferd beim Zügel nahm und es in das Buschwerk zurückführte.
»Gute Nacht!« antwortete Old Shatterhand, indem er das seinige bestieg, um fortzureiten.
Beide hatten natürlich mit den Pferden auch ihre Gewehre von Schi-So zurückgenommen. Dieser mochte über die kurze Art und Weise dieser Verabschiedung erstaunt sein; er wagte es aber nicht, ein Wort darüber zu bemerken oder eine Frage auszusprechen; dies gab der Respekt nicht zu, den er für diese beiden berühmten Männer hegte. Er stieg auch auf sein Pferd und folgte Old Shatterhand.
Dieser hatte zunächst einen kurzen Trab eingeschlagen und verhielt sich einige Zeit lang still. Dann fragte er den Jüngling in seiner leutseligen Art und Weise:
»Schi-So wird gar nicht wissen, woran er mit uns ist?«
»Ich werde es erfahren,« antwortete der Angeredete höflich.
»Ja, du wirst es erfahren. Wenn ich es dir jetzt sagen wollte, müßte ich es zweimal erzählen, und das möchte ich vermeiden. Aber eins will ich doch bemerken, worüber du dich freuen wirst: Ich habe deine Eltern gesehen.«
»Wirklich, wirklich? Wo?« fragte Schi-So, freudig überrascht.
»Am jenseitigen Ufer. Sie ritten mit einer großen Kriegerschar aufwärts.«
»Jedenfalls um nach den Nijoras zu suchen?«
»Ja.«
»Da werden sie des Nachts lagern! Wenn ich sie aufsuchen dürfte!«
»Du darfst. Ich muß sie nämlich suchen, und da sollst du mich begleiten. Ich denke, daß du noch in dieser Nacht deinen Vater und deine Mutter begrüßen kannst. Wir haben Eile. Laß uns Galopp reiten!«
Ein kurzes Wort von ihm genügte, sein Pferd zum schnelleren Laufe anzutreiben, und Schi-So folgte ihm, in stiller Wonne an das Wiedersehen mit seinen Eltern, besonders mit seiner Mutter denkend.
Diesmal gehörte kein großer Scharfsinn dazu, den Ort, nach welchem sie wollten, zu entdecken. Als sie sich demselben näherten, sahen sie den Schein des Feuers zwischen den Bäumen hervorschimmern. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sagte:
»Wie unvorsichtig, so ein Feuer zu brennen! Ich bin zwar überzeugt, daß diese Stelle hier jetzt ganz gefahrlos ist, aber man zündet doch nicht ein Feuer an, an welchem man einen Büffel braten könnte! Sam Hawkens muß sehr genau wissen, daß er sich hier in vollster Sicherheit befindet. Steigen wir ab und schleichen wir uns heimlich hin! Wollen sehen, was sie thun und reden. Man kann ja schon hier ihre lauten Stimmen hören.«
Sie stiegen ab und führten ihre Pferde leise nach dem Rande des Buschwerkes, wo, wie sie bemerkten, die Gesellschaft die ihrigen stehen hatte. Dann schlichen sie sich näher. Da sahen sie zu ihrem Erstaunen den Häuptling der Navajos mit seiner weißen Squaw.
»Deine Eltern sind da,« flüsterte Old Shatterhand seinem jungen Begleiter zu. »Siehst du sie?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
Er sagte nur dieses eine Wort, doch das scharfe Ohr des Jägers hörte es, daß seine Stimme dabei vor freudiger Erregung zitterte.
»Wie mögen sie sich hierher gefunden haben? Und welche Freude, als sie hörten, daß du bei uns bist!
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