Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Ansicht ist zwar außergewöhnlich, aber sie gefällt mir fast ebensosehr, wie Ihr mir selbst gefallt.«
»So, ich gefalle Euch, Sir? Well, so thut mir den Gefallen, uns zu sagen, wo wir unsre Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.«
»Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?«
»Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was er will, ich weiß, woran ich bin.«
»So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloß besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.«
Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platze, und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.
Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Thema derselben war ihnen ebenso interessant gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.
»Was ist denn das?« fragte der Engineer verwundert. »Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.«
Er blickte nach dem Eingang und sah nicht die drei fortgegangenen Personen, sondern zwei ganz andre Männer eintreten. Es war ein Weißer und ein Indianer.
Der erstere war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Kniee heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein, und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, in denen wahrscheinlich die einem Westmanne nötigen kleineren Requisiten steckten. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso, und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte, dessen Schloß kein gewöhnliches zu sein schien; das sah man, obwohl es jetzt durch ein ledernes Etui verhüllt wurde.
Der Indianer war ganz genau so gekleidet wie der Weiße, nur daß er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grizzlykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Trophäen zeigen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebensowenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Sammets seiner Augen glänzte in ihnen ein jetzt ruhiges, wohlthuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.
Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt; sie kamen ruhiger und bescheidener herein als wohl der niedrigste Arbeiter des Camps; nichts, gar nichts an ihnen zeigte, daß sie die Absicht hätten, in irgend einer Weise Ansprüche zu erheben oder gar Aufsehen zu erwecken, und doch wirkte ihr Erscheinen grad so, als ob zwei fürstliche Personen zu ihren Unterthanen getreten wären. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling
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