0407 - Die Mordgeister
Nur schwer konnten sie sich daran erinnern, wie lange sie nun schon warteten. Es mochten Jahrzehnte sein, vielleicht ein halbes Jahrhundert? Es war eine sehr lange Zeit, aber Zeit spielte keine Rolle für jemanden, der nicht dem Prozeß des Alterns unterliegt.
Dennoch fieberten in ihnen die Ungeduld. Es mußte der Augenblick kommen, in dem ihre Erlösung aus dem Bann wartete. Dann würden sie endlich in jene andere Sphäre wechseln können, die jener verhängnisvolle alte Fluch ihnen jetzt noch verwehrte. Dann erst erlangten sie die Freiheit zurück.
Es war eine Freiheit, die Tod hieß. Denn um frei zu werden, mußten sie gestorben sein.
Schon vor langer Zeit. Damals, als sie dem Fluch anheimfielen.
Doch wenn sie sich nun davon befreien wollten, mußten auch andere sterben. Sterben, um nicht in die Jenseitssphären überwechseln zu können, bis wiederum andere Menschen kamen, um ihre Stelle einzunehmen — ein ewiger Wechsel, ein ewiger Fluch. Verlorene Seelen, die danach schrien, Erlösung zu finden — aber um einen hohen Preis. Um den höchsten…
Sie mochten sich vom Ort ihrer Gefangenschaft lösen können.
Doch wirkliche Erlösung würden sie niemals finden…
***
Sie hatten Caermardhin, Merlins unsichtbare Burg, verlassen.
Während der Druide Gryf und Professor Zamorra den russischen Parapsychologen Boris Saranow zurück in seine Heimat brachten, hatte sich die Druidin Teri Rheken bereit erklärt, Nicole Duval nach Frankreich ins Château Montagne zu bringen und den Geisterreporter Ted Ewigk weiter nach Rom zu befördern, wo er sich seit längerer Zeit unter dem Namen Teodore Eternale in einem Hotel am Stadtrand eingemietet hatte. Per zeitlosem Sprung, der fantastischen Fähigkeit der Silbermond-Druiden, sich durch Gedankenkraft und Magie ohne Zeitverlust von einem Ort an den anderen zu versetzen und dabei andere Lebewesen und Gegenstände mitzunehmen, war das eine Kleinigkeit, die kaum länger dauern konnte als ein Fingerschnipsen.
Teri, Nicole und Ted warteten ab, bis die drei anderen sich verabschiedet hatten und verschwanden, um in der gleichen Sekunde in Akademgorodok, der Stadt der Wissenschaftler bei Nowosibirsk in Rußlands endlosen Weiten wieder aufzutauchen.
Sid Amos, der derzeitige Herr von Merlins Burg, zeigte sich nicht. Er wußte, daß alle anderen außer Zamorra und vielleicht auch Nicole Duval ihm deutliche Abneigung entgegenbrachten und legte deshalb keinen großen Wert auf eine lange Abschiedszeremonie. Merlin selbst hatte sich in seine Regenerierungskammer zurückgezogen, in jene Dimensionsfalte, in der er neue Kräfte tanken wollte und auch mußte. Niemand konnte sagen, wie lange das währen würde, für wie lange Sid Amos noch seine ungeliebte Tätigkeit als Herr der unsichtbaren Burg ausüben mußte.
Ted Ewigk saß noch im bequemen Ledersessel, die Beine übereinandergeschlagen. Der vormals blonde Wikinger-Typ, der die Haare jetzt schulterlang trug und schwarz gefärbt hatte, um in Verbindung mit einem ebenfalls schwarzen Oberlippenbart seiner Tarnung als ungewöhnlich hochgewachsener Italiener zu entsprechen, grinste die beiden jungen Frauen an. Er nickte Nicole zu.
»Sag mal… legst du unbedingt Wert darauf, noch heute nach Château Montagne zu kommen?« erkundigte er sich.
»Wie meinst du das?«
»Nun, ich schätze, daß Zamorra ein paar Tage in Rußland bleiben will. Wenn Saranow ihm tatsächlich die russische Psi-Forschung live vorführt, wird das eine Weile dauern. So einen oder zwei Tage in Rom wirst du herausschlagen können, oder?«
Nicole hob die Brauen. »Willst du mich in Zamorras Abwesenheit verführen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Eigentlich wollte ich dich als Beraterin engagieren«, sagte er.
»Wie komme ausgerechnet ich zu dieser Ehre?« wollte die Französin wissen. »Wobei soll ich dich überhaupt beraten? Teri kann das doch ebensogut.«
»Sicher… nur hat sie wenig Ahnung von alten Häusern und Bausubstanz, weißt du? Zamorra und du, ihr habt praktische Erfahrung allein durch die Renovierungen im Château Montagne oder durch das Beaminster-Cottage in England. Da dachte ich mir, daß du mir vielleicht ein paar Tips geben könntest.«
»Warum wartest du damit nicht, bis auch Zamorra wieder da ist?«
»Es eilt«, sagte Ted. »Ich habe beschlossen, nicht mehr Dauergast im Hotel zu bleiben, sondern mir in Rom ein Häuschen zu kaufen. Aber da gibt’s nicht viele, die meinen Anforderungen entsprechen, und dieses Haus, wurde mir gesagt, habe etliche
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